In Europa weitgehend isoliert

Die Kommission kann im EU-Parlament auf breite Unterstützung für ihren Kurs im Haushaltsstreit mit Italien zählen

  • Peter Eßer, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Haushaltsstreit der EU mit Italien steuert auf einen neuen Höhepunkt zu. Die italienische Regierung bleibt ziemlich stur, während die EU-Kommission ein Defizitverfahren gegen das Land anstrebt. Eine Bereitschaft nachzugeben ist weder in Brüssel noch in Rom erkennbar. Und so könnte es im Extremfall zu Sanktionen und Geldbußen für Italien kommen.

In Europa ist die Regierung aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechtsradikaler Lega mit ihrer Konfrontationsstrategie weitgehend isoliert. Vor gut drei Wochen hatte die EU-Kommission die Italiener in einem bis dato einmaligen Verfahren dazu aufgefordert, ihren Haushaltsentwurf zu überarbeiten. Die gesetzte Frist ließ Rom in der vergangenen Woche verstreichen. Die Hüter des EU-Fiskalpakts stören sich an der geplanten Neuverschuldung Italiens, die deutlich über den mit der vorherigen Regierung abgemachten Werten liegt.

Fünf Sterne und Lega führen an, durch Steuersenkungen und Erhöhung von Sozialleistungen die Binnennachfrage und somit das Wachstum anzukurbeln, womit auch die Schuldenbelastung sinken werde. Die Kommission bezweifelt, dass das funktionieren wird. Die Verschuldung Italiens liegt bei 131 Prozent der Wirtschaftsleistung - laut den Maastricht-Kriterien sollen es nicht mehr als 60 Prozent sein. Allein die steigenden Zinsen würden jedes Wachstum auffressen, so die Befürchtung.

Formell kam Rom der Forderung nach einer Revision nun aber nach. In letzter Sekunde schickte Finanzminister Giovanni Tria ein Antwortschreiben nach Brüssel. Der Hauhalt wurde zwar nicht geändert, aber Tria bat darin um mehr Flexibilität bei Sonderausgaben wegen des Brückeneinsturzes in Genua im August und der schweren Unwetter vor gut zwei Wochen. Außerdem kündigte er an, die Regierung werde Immobilien verkaufen, um die Neuverschuldung zu senken. Das hätte durchaus als Entgegenkommen gewertet werden können. Doch die Wortführer in Rom machten diese Hoffnung durch Drohungen umgehend zunichte. So sagte der Lega-Vorsitzende Matteo Salvini in Richtung Brüssel: »Wenn sie versuchen, Italien zu bestrafen, dann machen Sie einen Fehler.«

Darauf ging die Kommission zunächst nicht ein. Italien habe auf die Warnung von vor drei Wochen reagiert, sagte ein Kommissionssprecher. Die Antwort werde nun geprüft. Kommenden Mittwoch wird die Behörde ihre endgültige Einschätzung des italienischen Haushaltsentwurfs zusammen mit der Bewertung der Pläne der anderen Mitgliedstaaten veröffentlichen. Brüssel ist bemüht, das Verfahren nicht wie eine Sonderbehandlung Italiens aussehen zu lassen, damit sich Rom nach Möglichkeit nicht als Opfer der Brüsseler Bürokraten darstellen kann.

Tatsächlich war etwa Frankreich wegen seiner Ausgaben ebenfalls jahrelang unter spezieller Beobachtung der Kommission. Deutschland hatte von 2003 an ein Defizitverfahren am Hals. Weder Paris noch Berlin drohten jedoch unmittelbar Sanktionen. Auch Italien hatte in den vergangenen Jahren bereits systematisch zu viele Schulden gemacht, was ohne Folgen blieb, weil die Regierung sich ansonsten etwa bei Reformen kooperativ zeigte. Von Kooperationsbereitschaft fehlt nun jedoch jede Spur, was in Brüssel für Ärger sorgt.

Auch in den Mitgliedstaaten und im EU-Parlament unterstützt deshalb eine breite Front von Rechtsaußen bis zu den Grünen die Kommission in ihrem Vorgehen. »Die Probleme in Italien sind strukturell, und einfache Reformen können sie nicht lösen«, meint etwa der deutsche Grünenpolitiker Sven Giegold. Der italienische Alleingang sei zudem enorm schädlich für die Chancen auf eine große Reform hin zu mehr Solidarität in der Eurozone.

Der LINKE-Finanzexperte im Europaparlament, Martin Schirdewan, sieht die Unnachgiebigkeit der Kommission hingegen kritisch: »Das Problem ist, dass die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts nachteilig für die Mitgliedstaaten sind.« Dass Italien gegen das Spardiktat aufbegehrt, könne er schon verstehen. Prinzipiell sei es möglich, mittels höherer Sozialleistungen Binnennachfrage und Wachstum anzukurbeln.

Partei für die italienische Regierung will der LINKE-Politiker aber nicht ergreifen: Besonders die rechte Lega versuche, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Sie habe das innenpolitische Klima vergiftet, es gebe Angriffe auf Journalisten und linke Politiker. »Ich würde es begrüßen, wenn die Kommission aus anderen Gründen als der Haushaltsplanung gegen die Regierung in Rom vorgehen würde«, so Schirdewan.

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