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Spiel mir das Lied der Todeslangeweile
Videospiel »Red Dead Redemption 2«
Ist vom »Western« die Rede, spricht man seltener über die Glanz-und-Gloria-Streifen der 50er Jahre, sondern über jene brutalen Spaghetti-Western, die das bereits sterbende Genre Ende der 1960er nachhaltig in unser kulturelles Gedächtnis brannte. Besonders Sergio Leones »Spiel mir das Lied vom Tod« ist in trauriger Erinnerung geblieben, als einer der langweiligsten Filme aller Zeiten. Wie der Streifen wurde dem Publikum bald auch das Genre zu langweilig.
Als der nordamerikanische Konzern Rockstar Games - bekannt für seine Open-World-Reihe »Grand Theft Auto« - 2010 den ersten Teil der »Red Dead Redemption«-Reihe veröffentlichte, gab es wider Erwarten ein virtuelles Aufflammen des Western-Fiebers. Acht Jahre warteten Fans treu auf einen Nachfolger.
Dutch Van Der Linde, Anführer jener Bande, der sich unsere Spielfigur Arthur Morgan in »Red Dead Redemption 2« anschließt, ist ein vormoderner Stalin, der von einer freien Gesellschaft jenseits des bürgerlichen Staates träumt. Der durch die ständige Verfolgung durch die Behörden zunehmend paranoid gewordene Bandenchef stürzt von einem Wahnsinn in den nächsten. Zu Beginn des Spiels geht ein Bankraub schief. Wir fliehen. Anschließend rauben wir den falschen Magnat aus, der uns die Pinkerton-Detektei auf den Hals hetzt. Wir fliehen erneut, töten ehemalige Sklavenbesitzer, etwas geht schon wieder schief, und wir fliehen abermals. Auf dieser andauernden Flucht lernen wir die USA im Jahr 1899 kennen, oder zumindest das, was uns Rockstar davon glaubhaft machen will. Eine Satire, bissig, und zu allem Überfluss langatmig.
60 Stunden Spielzeit verspricht der Hersteller mit seiner Kampagne. Schnell wird klar warum: Ständig reiten wir von A nach B und wieder zurück. Stundenlang geht es durch die Prärie, über Baumwollfelder oder zum Pendant der Rocky Mountains. Ab und zu schießen wir uns den Weg frei oder jagen Wild, damit unser kleines Lager aussätziger Idealist*innen über die Runden kommt. Nach zwei Wochen kommt es uns so vor, als hätten wir bereits die dreifache Zeit investiert. Ohne jedes Erfolgserlebnis. Es ist die Videospiel-Version von »Spiel mir das Lied vom Tod«. Die Geschichte ist so langatmig und schwer, dass die unzähligen Unstimmigkeiten gar nicht erst ins Gewicht fallen.
Der Plan der Van-Der-Linde-Gang ist, mit Diebstählen von den Reichen genug Geld zu erhaschen, um anderswo ein Stück Land zu kaufen und endlich ein ehrliches Leben zu beginnen. Doch die rasante Entwicklung der noch jungen, vom Sezessionskrieg gebeutelten Staatenunion macht nun auch den Wilden Westen unerreichbar für die Verbrecher*innen. Überall hat der Staat die Verantwortung über seine Bürger*innen übernommen. Deswegen will man nach Australien oder Tahiti. Aber noch immer mangelt es an Geld, und die meisten von Van Der Lindes Plänen gehen schief.
Rockstar setzt neue Maßstäbe in Sachen Open-World, keine Frage. Noch nie hat sich ein Spiel so lebendig angefühlt. Die virtuelle Welt wimmelt vor Detailreichtum. Wir treffen an jeder Ecke Zeitgenoss*innen, die unsere Hilfe brauchen oder Ärger suchen. Als Spieler*in hat man die Wahl: entweder als Robin Hood durchs Land und den reichen Plantagenbesitzern das Geld aus der Tasche ziehen, um es ehemaligen Sklav*innen zu schenken, oder als kaltblütiger Killer seinen Weg mit den Leichen Unschuldiger pflastern. Ein Ehre-Balken zeigt an, wie moralisch einwandfrei wir sind - oder eben nicht sind. Es ändert jedoch nicht viel, außer dass wir hin und wieder selber zum Gejagten werden. RDR 2 erzählt eine Geschichte des Wilden Westens und füllt eine bunte Welt, das ist schön und gut. Aber auch die zahllosen Nebenmissionen pumpen das Spiel nur noch weiter auf. Nichts täuscht darüber hinweg, dass man sich in einem viel zu langen Film befindet, in dem man Knöpfe drücken und über Leben und Verderben anderer entscheiden darf.
Wie man jüngst jedoch sehen konnte, nutzen (männliche) Spieler die Freiheiten des Spiels, um ihre widerwärtigen Gelüste auszuleben. Ein Video, in dem ein Youtube-Star einer Suffragette im Spiel genüsslich kichernd die Scheiße aus dem Leib prügelt, erreichte fast zwei Millionen Klicks. Das Spiel ist nicht der Grund für dieses Verhalten, will man meinen, gibt Rockstar sich doch Mühe, sowohl vergangene als auch aktuelle feministische Problemstellungen aufzugreifen, ganz im Sinne einer Kulturindustrie nach metoo. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass dieser Versuch genau wie der oberflächliche Antirassismus nur als Feigenblatt dient. Die »starken Frauen« im Spiel dienen lediglich als Stichwortgeberinnen für das Gemetzel der Männer. Rockstar kennt seine Fans und weiß, dass es nicht von ungefähr kommt, dass solche Videos in der Community ankommen. Schließlich will man diese Zielgruppe als Konsumenten nicht verbrennen. Ein feministisches Epos ist nun mal (leider) keine Gelddruckmaschine.
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