Sean »Diddy« Combs: Das Böse

Der Prozess gegen Diddy hat uns viel Bestürzendes beschert, aber auch neue Heldinnen

  • Klaus Ungerer
  • Lesedauer: 3 Min.
Man gönnt ihm, dass er eine Weile sitzt.
Man gönnt ihm, dass er eine Weile sitzt.

Über mehrere Wochen lief jetzt der Prozess gegen den grauenhaften Musiker und Menschen Sean Combs alias Diddy, ehemals Puff Daddy, und über Wochen hat die interessierte und gerne mal etwas voyeuristische Öffentlichkeit (Unterzeichneter eingerechnet) sich minutiös aufblättern lassen, was für eine Schreckensherrschaft dieser Mann errichtet haben und wie das Leben für die Menschen gewesen sein muss, die ein mitleidloses Schicksal in seine unmittelbare Nähe verfrachtet hat. Im Mittelpunkt des Interesses stand dabei Cassie Ventura, die lange eine Art Beziehung mit dem wesentlich älteren Sean Combs führte: Als 19-jährige talentierte Sängerin war sie in die Fänge des mächtigen und schwerreichen Produzenten geraten, der ihre Person sehr zielstrebig unter seine totale Kontrolle brachte.

Was das Leben in der Pop-High-Society bedeutet, wenn man eine junge Frau ist statt eines mächtigen, schwerreichen Produzenten, erfuhr Cassie dann über viele Jahre – Jahre, in denen ihre Karriere abgewürgt wurde und Sean Combs sie auf immer erniedrigendere Weise zu seinem persönlichen Besitz und zum Prop auf seinen grotesken Sexpartys machte.

Eine Ahnung ihres Martyriums blitzte im vergangenen Jahr auf, als ein Video von 2016 öffentlich wurde: In einem Hotelflur versuchte Cassie, barfuß, eine große Tasche umgehängt, aus Combs’ Herrschaftsbereich zu entkommen, wurde von ihm selbst jedoch, mit nichts als einem Handtuch bekleidet, eingeholt, brutal misshandelt und zurück ins Hotelzimmer geschleift. Unter seinen Tritten nahm sie auf dem Fußboden eine Embryonalhaltung ein, was nahelegt, dass sie derlei Tritte schon gut kannte und auf Schadensminimierung aus war.

Cassie Venturas Auftritt als Zeugin war eines der zentralen Ereignisse im Prozess gegen Sean Combs, und selbstredend fand sich in der breiten Öffentlichkeit Kritik an ihr: Sie sei nur auf Geld aus, wurde ihr nachgetragen (ganz als ob sie nichts erlitten habe), und: Es gebe ja Whatsapp-Nachrichten von ihr an Combs, in denen sie einwilligte, bei der nächsten Sexparty mitzumachen. Da seht ihr’s!

Aber es sieht ja immer nur jeder, was er sehen will oder kann. Haben wir denn irgendetwas dazugelernt mit unserem leicht voyeuristisch eingefärbten Erkenntnisinteresse? Überrascht es uns, dass ein psychopathischer Frauenhasser in der Popmusik-Industrie maximal gut Karriere machen kann? Darüber nachzudenken, bleibt jedem selbst überlassen, und am besten schaltet man dazu das Küchenradio aus.

Allerdings, wir wollen es auch sagen, da uns kaum etwas übrig bleibt, als aus reiner Verzweiflung an Karma und an Yin-Yang-Jojo zu glauben: Wo das Böse sich zeigt, taucht auch das Gute oft machtvoll herauf aus den Fluten. Der Diddy-Prozess war eine goldene Ära für ein paar großartige Leute auf Youtube: Ich selber schaute immer wieder gern bei der quietschrosa Empower-Frau Lisa Bilyeu herein, in deren Show etwa die kluge FBI-Profilerin Dr. Ann Burgess gastierte, oder die beeindruckende Ex-Scotland-Yard-Analystin Laura Richards: Menschen, die sehr genau wussten, wovon sie sprachen, und die den Diddy-Mythos kundig auf eine Psychopathologie herunterbrachen, die mit der Grandezza des Popstars wenig zu tun hat: Sie kann sich genauso gut beim Mackertypen von nebenan zeigen, dessen Frau immer so überfreundlich grüßt und einen Tick zu oft ihre große Sonnenbrille trägt …

Wir haben noch einiges zu lernen und nachzuarbeiten, bis auch der Letzte begriffen hat: Nein, wenn eine ausgelieferte Frau, die von einem monströs gefährlichen Mann kontrolliert wird, ihm Whatsapps schreibt, in denen sie der nächsten Misshandlung zustimmt – dann ist das dasselbe, wie wenn sie sich am Boden krümmt, damit die nächsten Tritte sie nicht ganz so schmerzhaft treffen: Schutzmaßnahmen, die Schlimmeres verhüten.

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