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Handlungsbedarf erkannt

Die SPD diskutierte in Charlottenburg-Wilmersdorf über aktuellen Antisemitismus

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie antisemitisch ist Berlin im Jahr 2018 - und was kann dagegen getan werden? Diese Frage hatte der SPD-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf am vergangenen Mittwoch bei einer Abendveranstaltung zur Diskussion gestellt. Das Thema brannte den Menschen im Bezirk ganz offensichtlich auf den Nägeln, rund 60 Gäste waren zum mitdiskutieren ins Rathaus Charlottenburg in der Otto-Suhr-Allee gekommen.

Als Gesprächspartner hatten die Sozialdemokraten drei Experten eingeladen: Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Marina Chernivsky, Leiterin des Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) sowie Sawsan Chebli, Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Initiatorin des Arbeitskreises Antisemitismus des Senats.

Der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende, Julian Zado, betonte in seiner Begrüßungsrede, wie wichtig das Engagement gegen Antisemitismus in der Hauptstadt sei. »Auch in unserem mulikulturellen Berlin kommt es immer wieder zu antisemitischen Vorfällen, das können wir nicht hinnehmen.« Insbesondere in einem Bezirk wie Charlottenburg-Wilmersdorf, in dem viele jüdische Einrichtungen beheimatet sind, muss die Zivilgesellschaft Flagge zeigen, forderte Zado.

Jüdisches Leben ist in Charlottenburg-Wilmersdorf präsent. Mit den Synagogen in der Pestalozzistraße, der Passauer Straße, der Joachimstaler Straße und der Münsterischen Straße gibt es vier Gotteshäuser. In der Fasanenstraße befindet sich das Jüdische Gemeindezentrum. Zudem gibt es mehrere koschere Restaurants, Geschäfte und zwei jüdische Schulen. Trotz des florierenden Gemeindelebens im Bezirk fühlt sich Sigmount Königsberg auch in Charlottenburg-Wilmersdorf in der Öffentlichkeit nicht sicher, wenn er mit Kippa unterwegs ist.

»Jemand, der sich offen als Jude zu erkennen gibt, muss in ganz Berlin damit rechnen, schief angesehen oder sogar angepöbelt zu werden«, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Gemeinde. Auch in Charlottenburg-Wilmersdorf komme es immer wieder zu Übergriffen. »Ich halte nichts davon, einen Bezirk herauszugreifen und diesen als No-go-Area zu bezeichnen«, sagte Könisgberg, »das Problem des Antisemitismus muss stadtweit gesehen werden.«

Bundesweit werden in Berlin die meisten antisemitischen Straftaten in Relation zur Einwohnerzahl gemessen. Von 2010 bis 2018 lag deren Anzahl in der Hauptstadt bei 1649, darunter waren 55 Gewalttaten. Das waren 46,1 Delikte je 100 000 Einwohner. Diese Zahlen hatte das Bundesinnenministerium im August veröffentlicht. Experten betonen, dass die Statistiken erhebliche Mängel aufweisen. Polizei und Beratungsstellen kommen immer wieder zu unterschiedlichen Ergebnissen, da die offiziellen Statistiken nur die als Straftaten registrierten Fälle beleuchten.

Staatssekretärin Chebli sagte, dass die Bereitschaft, etwas gegen Juden- und Israelhass zu tun, bei den politisch Verantwortlichen noch nie so groß wie heute war. »Der Senat geht sehr sensibel mit dem Thema um.«

Als Beispiel nannte Chebli die Entscheidung der Bildungsverwaltung, antisemitisches Mobbing an Schulen ab dem nächsten Schuljahr zentral erfassen zu wollen. »Um Antisemitismus konsequent zu bekämpfen, müssen wir ihn in seinen unterschiedlichen Ausprägungen wahrnehmbarer machen«, sagte Chebli.

ZWST-Bildungskoordinatorin Chernivsky lobte das Vorgehen der Bildungsverwaltung. »Lehrer berichten uns immer wieder von antisemitischen Vorfällen an Schulen, alle Bezirke sind davon betroffen.« Wichtig im Kampf gegen Antisemitismus sei es, dass alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt sind. »Minderheiten dürfen mit ihren Ausgrenzungserfahrungen nicht gegeneinander ausgepeilt werden«, so Chernivsky. Insbesondere jüdische und muslimische Organisationen sollten enger zusammenarbeiten.

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