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Versuche nicht, schlauer zu sein!

Anders als Miss Marple und Hercule Poirot: In der neuen Agatha-Christie-Verfilmung »Das krumme Haus« ist der Star das Haus

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 4 Min.

Mitten hinein in die drohende Welle neuer Hercule-Poirot-Filme von und mit Kenneth Branagh stößt, als kleiner Brecher, diese vorderhand bescheidene, tatsächlich exzellent temperierte Verfilmung eines bislang unberührten Agatha-Christie-Stoffs: »Das krumme Haus«. Mit dem Bruchteil des Budgets eines Branagh machen der Regisseur Gilles Paquet-Brenner und seine Autoren so gut wie alles richtig.

Dabei ist das Erbe des Christie-Kinos gar nicht so drückend. Zieht man Billy Wilders »Zeugin der Anklage« (1957) und Sidney Lumets »Mord im Orient-Expreß« (1974) ab, verbleiben neben ein paar ganz netten mehrheitlich missratene Filme. Selbst die Margaret-Rutherford- und die Peter-Ustinov-Reihen überzeugen eher aufgrund ihrer Hauptdarsteller denn als filmische Werke, und man war ja schon dankbar, wenn die Adaption sich einigermaßen an die Vorlage hielt und nicht etwa, wie »Ein Unbekannter rechnet ab« (1974), salopp den Schluss änderte.

»Das krumme Haus« bleibt erfreulich nah an der Buchvorlage. Die elementare Regel jeder Agatha-Christie-Verfilmung lautet: Versuche nicht, schlauer zu sein als Agatha, du bist es nicht. - »Sie hatte«, sagt Produzent Joe Abrams, »für alles einen guten Grund, und wenn man einen Baustein verändert, dann passt der nächste nicht mehr.«

Das Setup klingt zugegeben nach einem gewöhnlichen Christie-Plot: Aristide Leonides, der schwerreiche Besitzer eines Catering-Imperiums, stirbt unter seltsamen Umständen. Seine Enkelin Sophia engagiert den Privatdetektiv Charles Hayward, der diese Umstände aufklären soll. Auf dem Anwesen der Familie, jenem krummen Haus, bewegt sich Hayward zwischen nicht weniger als elf Personen, die sämtlich Motiv, Gelegenheit und Kenntnisse hatten, den Mord am Oberhaupt der Familie zu begehen. Was die Geschichte ungewöhnlich macht, entsteht durch einige Nuancen; sie und die können aber nur funktionieren, weil von der Anlage her ein strenger Whodunit vorliegt.

Dieses Genre, das seine Wurzel bei der griechischen Tragödie »Oidpus Tyrannos« hat, lebt ganz von der Konstruktion; Psychologie und Philosophie sind zweitrangig. Die eigentliche Handlung (das Verbrechen) passiert früh, manchmal noch vor Beginn der erzählten Ereignisse. Der Hauptakteur (der Ermittler) ist dabei nicht wirklich Teil des Geschehens, er tritt ihm gegenüber. Was aussieht wie eine Handlung, besteht vielmehr aus zweien: der Ermittlung eines kriminellen Treibens und der verdeckten Fortführung dieses Treibens. Die Erzählweise des Whodunit muss folglich personal sein, und es zeigt sich, dass das vermeintlich objektivste Genre tatsächlich das subjektivste ist. So weicht auch im »Krummen Haus« die Kamera nur selten von der Seite des Detektivs, wodurch der Zuschauer kaum mehr Informationen erhält als Hayward. Auch die typische Einheit von Ort, Handlung und Zeit bleibt weitgehend gewahrt; diese Abgeschlossenheit ermöglicht eine strenge Konstruktion der Handlung, die sich andernfalls in der Weite des Raums und der Ereignisse verflüchtigte.

Die Besonderheit der routiniert gebauten Story entsteht erst in der Bewegung. Zum einen unterscheidet sich Charles Hayward vom gewöhnlichen Christie-Ermittler darin, dass er kein Genie ist. Anders als Hercule Poirot oder Miss Marple scheitert er beim Versuch, Herr der Lage zu werden. Er löst den Fall nicht, die Lösung fällt ihm vor die Füße. Zum anderen funktioniert der typische Twist weniger aufgrund einer absonderlich gewieften Konstruktion, sondern vor allem vermöge eines psychologischen Spiels mit den Erwartungen des Publikums. Hier wird die Grenze vom Krimi zum Thriller überschritten, ohne dass die Genre-Form sich ändert. »Das krumme Haus« reicht tiefer, ist schmutziger als Agatha Christies andere Werke, und die Inszenierung wird dem gerecht. Schauspiel, Musik, Szenenbild befördern eine Düsternis, die allerdings nie zum Grusel verkommt. Alles auf dem Anwesen ist britisch-schräg und beißt sich mit dem amerikanischen Stil der Exposition, der eher an Stoffe Chandlers, Spillanes oder Hammetts erinnert.

Der Star ist das Haus. Die Kamera nutzt die vorhandenen Winkel, um die Architektur der Räume sichtbar zu machen. So entsteht auf der bildlichen Ebene ein Pendant zum verwinkelten, komplizierten Geflecht der Menschen, die darin leben. Auffällig sind die verschieden eingerichteten Zimmer. Philip, der Historiker, wohnt im Kolonialstil; Magda, die Schauspielerin, zwischen Empire-Möbeln; Clemency, die Chemikerin, modern und symmetrisch; Brenda, die viel zu junge Witwe, inmitten von mondänem Kitsch der frühen Sechziger. Alle leben unterm selben Dach, aber jeder schafft sich seine Nische. Hier steht, erklärt die von Glenn Close verkörperte Edith, ein Treibhaus unterdrückter Leidenschaften. Das Szenenbild macht die Architektur begreifbar, als Parabel eines zerfallenen Empires, und legt so die Substanz einer Autorin frei, deren konservative Einfalt nicht verhinderte, die politischen Kämpfe der Zeit abzubilden.

»Das krumme Haus«, Großbritannien 2017. Regie: Gilles Paquet-Brenner. Darsteller: Glenn Close, Max Irons, Gillian Anderson. 115 Min.

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