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DDR? Da schau ich gern zurück
Der Liedermacher Hartmut König bekennt auf seinem neuen Album: »Warum ich nun mal Ossi bin«
Schon der Titelsong ist eine Ansage. Ein Bekenntnis: »Warum ich nun mal Ossi bin«. Nicht Trotz: »Ich hatte eben Glück.« Da blickt einer zurück, nicht aus der Schmollecke des Beleidigten, Gekränkten, Resignierenden. Aus jeder Zeile spricht Stolz: »Wir führten niemals Krieg … Wir hielten Solidarität. Im Land und weltweit … Die Frauen hatten gleichen Lohn.« Eine Hommage auf eine Gesellschaft und Gemeinschaftssinn, den es nicht mehr gibt. Gewiss, die verschwundene Gesellschaft, an die Hartmut König mit seinem neuen Album erinnert, war nicht perfekt: »Es blieb die Doppellast der Frau./ Manch Kerle lernten spät./ Doch nie entschied der Mann,/ ob Frau ein Konto haben kann/ oder zur Arbeit geht.« Bildung war kein Privileg, Gesundheitsdienst ohne Profit. Zwar war grau manche Stadt, doch keiner unter Brücken schlief.
»Ich hatte einfach Glück« ist eine selbstbewusste Antwort eines ostdeutschen Liedermachers an jene im Westen, die dereinst die »armen« Brüder und Schwestern im Osten bedauerten und bemitleideten, scheinheilig, wie sich alsbald, nach der Vereinigung, zeigen sollte. Als jene sich sogleich daranmachten, die Ostelbier zu enteignen und zu entrechten, sie verhöhnten und verleumdeten, ihnen ihre Lebensleistungen absprachen und sie als »Jammer-Ossis« abstempelten.
Woher kommt eigentlich diese Etikettierung, die eine pauschale Zuordnung in scheinbar verschiedene, konträre Ethnien suggeriert? Sie soll erstmals vom Science-Ficton-Autor Thomas Rudolf Peter Mielke (sic), gebürtiger Detmolder, vor fünf Jahren in Bernau bei Berlin verstorben, verwandt worden sein. Und zwar in dessen 1985 erschienenen Roman »Der Tag, an dem die Mauer brach«. Zwei Jahre später visionierte der Hans Magnus Enzenberger in seinen imaginären Reportagen aus dem Jahre 2006 (»Ach Europa!«) ein wiedervereinigtes Deutschland, in dem sich »Wessie« und »Ossie« spinnefeind sind
Hartmut König ist kein Ostalgiker oder Nostalgiker. Und vermutlich wäre ihm dieser ganze Ossi-Wessi-Streit vollkommen egal, wenn der nicht reale Hintergründe hätte: Ungerechtigkeit bei Entlohnung, Berentung, sozialer Stellung etc. Der an der Karl-Marx-Universität Leipzig promovierte Journalist konstatiert Erfolge des ostdeutschen Staates, die diesen in einigen gesellschaftlichen Bereichen als moderner, ja sogar emanzipativer und partizipativer als die alte und die gegenwärtige Bundesrepublik Deutschland ausweisen und von nicht wenigen ehemaligen Bürgern und Bürgerinnen der DDR vermisst werden. Deren Untergang sieht er geschuldet auch eigener »früher wie späterer Fehler«. Dieses Jahr erschien aus seiner Feder eine Anklage der stalinistischen Schauprozesse in Osteuropa, die zugleich damalige westliche Geheimdienstmachenschaften enthüllt: »Stalin, Dulles und der Galgen in Prag« (Das Neue Berlin, 128 S., br., 14 €).
Und doch ist das Scheitern des unvollkommenen Sozialismus für König kein Grund zur Kapitulation: »Was unser Staat war, ist perdu./ Doch will er längst nicht sterben./ Denn was wir einmal hingestellt,/ das fällt nicht einfach aus der Welt./ Da ist etwas zu erben.« Und tatsächlich hat sich einiges aus der DDR behauptet beziehungsweise ist klandestin zurückgekehrt, wie etwa die Kindergärten/Kitas oder Ärztehäuser. Vernünftiges setzt sich eben durch. »Und fragst du mich nach Lebenssinn,/ da schaue ich gern zurück und kämpfe wo ich bin.«
Und da findet sich denn auch auf der CD einer der bekanntesten Songs des legendären Oktoberklubs, dessen Frontmann König jahrelang war: »Da sind wir aber immer noch« von 1979, eine Replik auf Springers Gänsefüßchen-Land »DDR«, freilich nun mit variiertem Text versehen: »Das sind wir aber immer noch./ Zwar der Staat ist nicht mehr./ Den hamse zerhaun./ Trotzdem! Haltet die Hoffnung hoch,/ was Neues, Besseres aufzubaun.«
Der Begegnungen mit alten, bekannten Liedern, bestückt mit neuen Beobachtungen und Botschaften, gibt es viele hier – nicht nur für in der DDR aufgewachsene, sondern auch in der bundesdeutschen Protestbewegung sozialisierte Bürger und Bürgerinnen. Wider neue Kriegstreiber intoniert König Ernst Buschs Song aus dem Spanienkrieg »Die Herren Generale« neu, ebenso das italienische Partisanenlied »Bella Ciao«. Oder das vom westdeutschen Folk-Duo Zupfgeigenhansel (Erich Schmeckenbecher und Thomas Friz) aufgegriffene »Bürgerlied« aus dem Vormärz, das die Sehnsüchte nach Freiheit und Einheit artikulierte, die sich 1848 in Barrikadenkämpfen Bahn brachen, und das auch gut zu den Aufbrüchen in der Bundesrepublik der 70er Jahren passte. In Königs neuer Version ein Lied zur Beschwörung der Einigkeit der Bürger und Bürgerinnen von Weimar bis Wilhelmsruh, von der Ostsee bis Saarbrücken, den Regierenden zu widersprechen, die Deutschland wieder kriegstüchtig machen wollen: »Ob im Westen oder Osten/ alle tragen wir die Kosten.«
Das Friedensgebot zieht sich durch mehrere Songs. König besingt die neuen sozialen Bewegungen, äußert Sympathie und Solidarität mit der Letzten Generation, mit Fridays for Future: »Ich laufe mit euch jeden Freitag,/wenn ihr loszieht, die Zukunft zu schwören./ Ich habe Spaß, euch zuzuhören/ ... Die Erde soll leben, nicht tot sein./ Wer grün sein will, muss heut auch rot sein.« Hart ins Gericht geht er mit den bellizistischen Grünen. Und der Singer-Song-Writer appelliert: »Wir müssen zurück zu den Wurzeln,/da, wo unsere Kräfte sind.« Hoffnung Graswurzelrevolution. Aufgegriffen werden alte Arbeiterlieder wie »Dem Morgenrot entgegen«. König scheut nicht den Begriff Proletariat. Deren junge Garde heute, »betörend parfümiert«, will er wachrütteln: »Wann wird die eigne Kraft erkannt?/Wann wird die Wut zum Widerstand?« Humorig geht es auch zu: Wer hat der CDU das C geklaut? Fragt König angesichts einer jeglichen christlichen Werten fernen Union. War’s ein Kommunist, ein Sozi oder ein Anarchist? »Wer hat der CDU das C gestohlen? Der Herr hat es seinem Sohn befohlen.«
Zum Schluss gibt es noch etwas aus der Schatztruhe des Liedermachers, das gewiss vielen Lesern dieser Zeitung bekannte »Friedenslied«, getextet und komponiert von Hartmut König vor Jahrzehnten, nach wie vor berührend und auf dieser CD vom Sängerfreund Tino Eisbrenner vorgetragen. »Es wächst das Brot uns nicht von allein,/ und auf den Feldern reift uns kein Krug voll Wein./ Das Wasser fließt nicht von selbst bergauf,/ und auch die Kriege hören nicht von selber auf./ Schön ist die Rose, schön ist das Licht,/ schön ist der Morgenwind, schön ist dein Gesicht./ Schön ist die Welt, wenn sie friedlich ist./ Schön ist der Frieden, wenn du seiner sicher bist.«
Hartmut König: »Warum ich nun mal Ossi bin« (Eulenspiegelverlag). Album- und Buchvorstellung: 30.10.,15 Uhr in der Hellen Panke, Kopenhagener Str. 9, Berlin.
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