»Die wollten uns kaputtspielen«

Die AfD kämpfte um Rostock - und ist an einem linken Bündnis gescheitert.

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 7 Min.

»Ganz Rostock hasst die AfD«, schallt es aus unzähligen Mündern. Fast 3500 Bewohner der Hansestadt haben sich an diesem kalten Dezemberabend in der Kröpeliner-Tor-Vorstadt versammelt. Das als KTV bekannte Viertel gilt als alternativ - dass gerade die AfD heute hier durchmarschieren will, wird von einem Großteil der Rostocker als Provokation empfunden. Der Empfang sieht entsprechend aus: Aus Fenstern hängen Bettlaken mit antifaschistischen Parolen, auf Häuserwänden leuchten Projektionen mit linken Sprüchen auf, in Kneipen liegen Bierdeckel, die zum Widerstand aufrufen. Das Viertel ist auf den Beinen. Man trifft die »Omas gegen Rechts«, Demonstranten in Hasenkostümen, Kapuzenträger und Kletteraktivisten, die zwischen Bäumen Seile spannen, um den Aufmarsch zu blockieren.

Der rechte Haufen, der sich unter Pfiffen am großen Ulmenmarkt sammelt, wirkt dagegen kläglich. Gerade mal 180 AfD-Anhänger sind gekommen, fast jeder trägt eine Deutschlandfahne in der Hand. Das Überziehen von gelben Westen wie auch das Tragen von blauen Helmen wird von der Polizei verboten. Zwar kann das Grüppchen aufgrund fehlgeschlagener Blockadeversuche letztlich doch laufen, aber von der ursprünglich geplanten Strecke sind kaum noch 900 Meter geblieben. Die Abschlusskundgebung muss aus Sicherheitsgründen verlegt werden. Es ist mittlerweile die neunte Demonstration in diesem Jahr, die von der AfD in Rostock durchgeführt wird. Dass man gescheitert ist, dämmert sogar den Funktionsträgern der Rechtsaußenpartei. »Wir sind heute nicht wirklich viele«, klagt der Organisator und Beisitzer im Kreisvorstand, Steffen Reinicke. Zum Schluss fällt die Tontechnik aus.

Ein paar Stunden später in einer linken Kneipe in der KTV. Es wird diskutiert und gefeiert, doch ist es eine Siegesfeier? »Wir ziehen ein gemischtes Fazit«, sagt Simon Broß vom Bündnis Rostock Nazifrei. »Wir konnten erneut zahlreiche Menschen auf die Straße bringen - die Blockaden haben jedoch leider nicht geklappt, da müssen wir uns besser organisieren«, so der 28-Jährige. Soweit die Einschätzung zum heutigen Tag. Im Gesamtrückblick des Jahres zeigt sich Broß optimistischer. »Die AfD wollte sich in Rostock weiter verankern, das konnte dank unserer Arbeit verhindert werden.« Die Mobilisierungsfähigkeit der Rechten liege am Boden, zahlreiche Menschen konnten derweil an die antifaschistische Bewegung herangeführt werden. Der Aktivist sagt zufrieden: »Die haben sich vorgenommen, uns kaputtzuspielen - daran sind sie gescheitert.«

Für Rostocks Zivilgesellschaft war es ein turbulentes Jahr. Im Februar hatten sich in Schwerin AfD-Abgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern mit den Gründern von Pegida getroffen. Im Folgemonat begann der rechte Demonstrationsmarathon durch Rostock, der sich bis Dezember fortsetzen sollte. An den AfD-Aufmärschen beteiligten sich dabei laut der antifaschistischen Recherchegruppe »Exif« nicht nur »besorgte Bürger«, sondern auch Identitäre, rechte Hooligans und Mitglieder lokaler Kameradschaften. »Der AfD war das egal, es gab kein Abgrenzungsbedürfnis«, so Broß. Eine Entwicklung, die offenbar nicht ohne Konsequenzen blieb. Das Flüchtlingsunterstützungsprojekt Rostock Hilft verweist darauf, dass in diesem Jahr auch die Gewalt gegen Schutzsuchende brutaler geworden sei. Im August schubste eine fünfköpfige Gruppe eine syrische Frau mit einem Baby in einen Teich, im Dezember attackierte im Stadtteil Lütten-Klein ein Mann einen Gambier mit einem Hammer. »Die Hemmschwelle zu Angriffen ist durch die AfD gesunken«, sagt Ronja Thiede vom Hilfsprojekt.

Die Kampagne der Rechten scheint jedoch vorerst zum Stillstand gekommen zu sein. Die Teilnehmerzahl ihrer Aufmärsche ging kontinuierlich zurück, während die Antifaschisten durchgängig fast zehnmal so viele Gegendemonstranten mobilisieren konnten. Aus Sicht von Rostock Nazifrei war für die Dynamik vor allem die Sitzblockade Mitte September entscheidend, die eine AfD-Demonstration mit dem Thüringer Fraktionschef Björn Höcke zum Umkehren zwang. »Das war ein massiver Erfolg, den wir so nicht erwartet hatten«, sagt Broß. »Bei der AfD brach danach endgültig die Mobilisierung zusammen.«

Ein Sieg, an dem viele beteiligt waren. Auch Flüchtlinge hatten sich im Rahmen von Rostock Hilft das ganze Jahr über bei Aktionen, Kundgebungen und Mahnwachen eingebracht. »Gerade der Protest gegen die Höcke-Demo verschaffte den Geflüchteten ein Gefühl der Selbstermächtigung«, sagt Thiede.

Der bemerkenswerte Erfolg der Antifaschisten kann durch verschiedene Faktoren erklärt werden: Rostock ist eine Universitätsstadt mit linksalternativer Szene, in der Bürgerschaft gibt es eine rot-rot-grüne Mehrheit, viele lokale Initiativen leisten politische Bildungsarbeit oder Unterstützung für Marginalisierte. Rostock Hilft hat beispielsweise mit dem »Newcomer Café« in der Innenstadt einen offenen Begegnungsraum geschaffen, in dem sich rund 40 Menschen unter anderem in der Asylrechtsberatung engagieren. Ebenso trägt die Verfasstheit des antifaschistischen Bündnisses zum Gelingen bei. »Wir arbeiten seit Jahren kontinuierlich gegen Rechts - das Bündnis ist stabil, die Leute halten zusammen«, sagt Broß. Die Zielgruppe sei zwar die breite Zivilgesellschaft, doch auch die klassische Antifa spiele für das Bündnis eine wichte Rolle. »Es gibt das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer langfristigen antifaschistischen Bewegung.«

Der scheidende Oberbürgermeister Roland Methling sowie Teile der Bürgerschaft und Behörden stehen dennoch in der Kritik für ihren Umgang mit Rechts. »Der jetzige Oberbürgermeister hat mündlich eine klare Position bezogen, doch auf den Demos ist er nie zu sehen«, sagt die Rostocker LINKE-Chefin und Landtagsabgeordnete Eva-Maria Kröger. »Dieses Verhalten ist enttäuschend, ein Oberbürgermeister der Linkspartei würde sich anders benehmen.« Aus Sicht der Politikerin sollte sich zudem die Stadt im Rahmen der Kooperationsgespräche mit der Polizei noch stärker dafür einsetzen, dass linke Gegendemonstrationen nicht drangsaliert werden, beispielsweise durch räumliche Einschränkungen und spontane Veränderungen der Demo-Routen. Von dem Wählerbündnis des Oberbürgermeisters wie auch von der CDU sei generell in Sachen Antifaschismus nichts zu hören. Broß von Rostock Nazifrei stimmt zu: »Es wäre wünschenswert, wenn sich die Bürgerschaft und der Oberbürgermeister über Lippenbekenntnisse hinaus deutlicher gegen Rechts positionieren würden«, so der Aktivist. »Gerne auch, wenn es brenzlig wird, etwa bei Blockaden.« Zumindest LINKE-Chefin Kröger zeigt sich offen: »Blockaden sind ein legitimes Mittel, sofern sie friedlich und gewaltfrei verlaufen.«

Mit Blockaden ist es jedoch langfristig nicht getan. Broß weist darauf hin, dass es von Antifaschisten über Gegendemos hinaus auch eine inhaltliche Antwort auf die rechten Mobilisierungen geben müsse. »Wenn die Antifa das Hamsterrad verlassen möchte, muss sie Klassenpolitik machen«, ist sich der Aktivist sicher. Dafür wolle man vor allem in benachteiligten Vierteln präsent sein und die eigene »Arroganz« ablegen. »Unsere Antwort lautet Solidarität«, sagt Broß. »Klar sind in den abgehängten Vierteln auch Rassisten, aber wir müssen die dort lebenden Menschen als Teil der unterdrückten Klasse sehen.« Man müsse den Menschen verdeutlichen, dass die Geflüchteten nicht für ihre Probleme verantwortlich seien. »Das bedeutet im Endeffekt, die soziale Frage zu stellen.« Broß versucht, diesen Gedanken mit Mitstreitern innerhalb des Projektes »SoLeRo« (Solidarisch Leben in Rostock) auch in der Praxis umzusetzen. Das Ziel: In Rostock ein Netzwerk aufbauen, in dem sich Anwohner mit verschiedensten Problemen gegenseitig unterstützen. »Diese Form von Selbstorganisation ist auch unser Mittel des Antifaschismus«, so der Aktivist. »Die soziale Frage ist wesentlich, aber bei weitem nicht der einzige Grund für Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus«, fügt Kröger hinzu.

Bis zum Jahresende hat die AfD in Rostock keine weiteren Demos angekündigt. Im Vorfeld der Kommunalwahlen im Mai ist jedoch mit neuen Protesten der Rechten zu rechnen. »Wir wollen im kommenden Jahr unsere Arbeit auf dem hohen Niveau halten«, sagt Simon Broß. Wenn man die Lage in der Stadt in den Griff bekäme, sei vor allem die Unterstützung des Umlandes gegen rechte Umtriebe ein Ziel. Linkspartei-Chefin Kröger betont: »Lichtenhagen ’92 soll nie wieder passieren.«

Es ist auch ein Kampf um Hegemonie. In Ostdeutschland sind – ebenso wie in ländlichen Regionen im Westen – rechte Parteien und Gruppierungen unübersehbar. Überall gibt es aber auch Menschen und Initiativen, die sich gegen die rechte Präsenz wenden und überlegen, was man diesen Tendenzen entgegensetzen kann. Lesen Sie dazu auch in unserem Schwerpunkt:

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Die besorgten Dörfler und ich. Strukturelle Defizite begünstigen rechtes Gedankengut auch in westdeutschen Gemeinden

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