Die Parität herrscht woanders

Ein Blick nach Äthiopien und Spanien.

  • Lotte Laloire und Pepa Villamayor
  • Lesedauer: 6 Min.

Was Kanzlerin Angela Merkel sich wünscht, setzten andere Staaten 2018 längst um: eine Regierung mit mindestens 50 Prozent Frauen. Neben dem typischen Vorzeigeland Schweden schafften die Parität dieses Jahr erstmals auch Spanien und Äthiopien.

In dem ostafrikanischen Staat ist seit April Abiy Ahmed Ali Ministerpräsident, der weltweit als Reformer gefeiert wird. Zunächst hatte er keine einzige Frau für seine Regierung vorgesehen. Nach Kritik des Gesetzgebers korrigierte er seine Kabinettsliste aber und es gingen zehn von zwanzig Posten an Frauen - und zwar nicht nur weniger einflussreiche Ressorts wie Familien- oder Bildungspolitik. Im Gegenteil, Aisha Mohammed führt als Verteidigungsministerin eine der größten Armeen Afrikas. Als »Friedensministerin« ist Muferiat Kamil die erste weibliche Chefin des Geheim- und des Nachrichtendienstes sowie der Polizei und damit die mächtigste Frau im Staat. Mit der ehemaligen Parlamentssprecherin Sahle-Work Zewdie ist erstmals eine Frau Präsidentin des Landes, das stolz von sich sagt, nie kolonisiert gewesen zu sein. Auch die oberste Wahlbehörde und das höchste Gericht werden von Frauen geleitet.

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Das Gleiche gilt für Spanien, wo seit dem 7. Juni 2018 die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) unter Pedro Sánchez regiert: Dort sind mit elf von 18 sogar die meisten Ministerien von Frauen besetzt. Auch hier sind die Verteidigungsministerin und die Wirtschaftsministerin weiblich. Am wichtigsten sein dürfte Vizepräsidentin und Ministerin für Gleichheit, Carmen Calvo (PSOE).

Die Regierungschefs von Spanien und Äthiopien erhielten viel Lob für ihre Personalentscheidungen. Doch was nützen die weiblicheren Regierungen den Frauen im Land? »Genauso wie Männer zeichnen sich Frauen, die es in hohe Ämter schaffen, nicht unbedingt durch Radikalität, sondern oft eher durch Konformität aus«, gibt die Frankfurter Sozialwissenschaftlerin Antje Schrupp zu bedenken. Sie weist im Gespräch mit »nd« darauf hin: »Gerade wenn männlich dominierte Führungen von außen gezwungen werden, Frauen in ihre Reihen zu holen, suchen sie sich oft weniger gefährliche Kandidatinnen.«

Schrupp fordert deshalb mit einem Augenzwinkern: »Wir brauchen keine Frauenquote, wir brauchen eine Feministinnenquote.« Zudem müsse für eine Bilanz zunächst geklärt werden, was »feministisch« bedeutet. Sie unterscheidet hier zwischen der Art und Weise, wie Frauen Politik machen, und frauenfreundlichen Inhalten, die sie vertreten.

Äthiopien kann als Beispiel für Ersteres betrachtet werden. So sagt die in Addis Abeba tätige Menschenrechtsanwältin Adey Tewabe* »nd«: »Um veränderte Politiken in Form von Gesetzen zu beobachten, ist es noch etwas früh. Aber die große Zahl an Frauen in hohen Ämtern hat schon jetzt einen bedeutsamen Einfluss gehabt, da es einen Wandel im Ton der Politik gibt.« Bei einer Rede über Frieden und Versöhnung diesen Herbst hat die Geheimdienstchefin Kamil vor Rührung geschluchzt und einige Tränen vergossen. Der Videomitschnitt davon ging im Internet viral. Für Adey ist diese »hoch emotionale, persönliche Art« zu sprechen etwas ganz anders als alles, was sie von Regierungsbeamten bisher gewohnt war.

Einen weiteren Hinweis auf Veränderung gibt die hitzige Diskussion über Billene Seyoum. Die Pressesprecherin des Ministerpräsidenten lehnte die traditionellen Titel »Weizero« und »Woizerit« ab. Diese zeigen auf Amharisch an, ob eine Frau verheiratet oder ledig ist. Über diese Weigerung haben sich Männer und Frauen empört und das als Versuch verunglimpft, möglichst »westlich« zu sein. Noch größer als deren Empörung war aber die Leidenschaft, mit der feministische Frauen und auch einige Männer Billenes Recht verteidigten, selbst zu wählen, wie sie als Individuum angesprochen werden möchte. Das seien zwar allenfalls Anekdoten. »Sie sollten aber dennoch Erwähnung finden«, findet Adey.

Auch der äthiopienstämmige Sozialwissenschaftler Awol K. Allo von der Keele Universität in Großbritannien zieht ein positives Resümee: »Die Parität ist nicht nur eine symbolische Geste. Sie sendet ein klares Zeichen an die Frauen im Land: Das Patriarchat kann geschlagen werden.« Derartige Zeichen gab es durchaus auch in Deutschland. Laut Schrupp war Angela Merkel trotz ihrer weniger frauenfreundlichen Wirtschaftspolitik dennoch »ein Vorbild für Frauen, die in diese Maschinerie, in diesen Parlamentarismus reingehen wollen, weil sie gezeigt hat, dass man etwas erreichen kann, ohne dass man sich diesem männlichen Gehabe anpassen muss, das ja momentan in der Weltpolitik insgesamt wieder Oberwasser hat«.

Dass auch durch Frauen der politische Ton nicht per se lieblicher wird, zeigt indes Spanien. Gerade Vizepräsidentin Calvo gilt persönlich als autoritär. In der Regierung war jedoch ein Wandel der politischen Inhalte zu verzeichnen. Eine Initiative der PSOE will, dass Frauenhandel und Missbrauch bekämpft werden. Bildungsministerin Isabel Celaá (PSOE) plant, ein Schulfach einzuführen, in dem es um Menschenrechte, Ethik und Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen geht. Und Vize Calvo sagte: »Wenn Armut verweiblicht ist, ist das Verweiblichen der Macht - nicht nur der politischen, sondern auch der wirtschaftlichen Macht - der einzige Weg, dies zu ändern.«

In diesem Sinne hat das Parlament im Oktober das »Gesetz für die Gleichberechtigung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt« verabschiedet. Dieses verlangt unter anderem, dass ab 2030 alle Betriebsräte paritätisch besetzt sind und Geldstrafen für Betriebe anfallen, die keine Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen. Zur Bekämpfung der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt soll darüber hinaus ein staatliches Büro eröffnet werden.

Ob ein Staat, auch wenn er von Frauen geführt wird, letztlich Gleichheit überhaupt ermöglichen kann, bezweifeln Feministinnen trotz aller positiven Effekte. Feministischen Theorien zufolge gilt der Staat, auch der neoliberale, als ein hierarchisches und über Jahrhunderte von Männern geprägtes Gebilde - also als eine Ursache der Unterdrückung.

Gerade im bisher autoritären Äthiopien herrscht allein durch die Frauen in der Regierung noch lange keine Gerechtigkeit. Und in Demokratien wie Spanien oder Deutschland verfolgt angebliche Gleichstellungspolitik oft auch andere Zwecke, wie die Autorinnen Lilly Lent und Andrea Trumann in ihrem Buch »Staatsfeminismus« anmerken. Maßnahmen wie Kitaplätze und Aufsichtsratsquoten dienen nicht unbedingt der Frauenbefreiung, sondern dem Wirtschaftswachstum.

Der Staat enttäuscht Frauen auch durch seine Gesetze und Rechtsprechung regelmäßig, zuletzt etwa im 2018 spanienweit bekannten Fall »La Manada«, als Männer, die sich als »Wolfsrudel« bezeichnet hatten, über eine Frau hergefallen waren. Die Männer wurden nicht für Vergewaltigung, sondern nur für sexuellen Missbrauch verurteilt. Spanier*innen sind zudem skeptisch, ob Vorschläge wie der von Ministerin Celaá feministisch oder eher wahlkampftaktisch sind. Denn es ist unklar, wie lange sich die spanische Minderheitsregierung, die für ihren Haushalt bisher keine Mehrheit im Parlament hat, noch wird halten können.

Dass auch ein demokratischer Staat feministische Errungenschaften nicht auf alle Zeiten absichern kann, sollte auch angesichts des Erstarkens rechtsextremer Frauenfeinde wie in Spanien der VOX-Partei bedacht werden.

*Name geändert, um die Person vor Angriffen oder Nachteilen zu schützen

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