Werbung
  • Politik
  • Rassismus bei der Polizei

Ein strukturelles Problem

Sozialwissenschaftler Daniel Loick über Alltagsrassismus bei Beamten und die Vorfälle in Frankfurt am Main

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 5 Min.

In dem Hollywood-Film »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« sagt Polizeichef Willoughby: »Wenn man alle rassistischen Polizisten feuern würde, hätte man noch drei übrig. Und die wären wahrscheinlich Schwulenhasser.« Der SPD-Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka meinte kürzlich mit Blick auf das mutmaßliche rechtsradikale Netzwerk in der Frankfurter Polizei: »Radikale haben in der Polizei nichts zu suchen.« Wer ist hier realistischer?

Das kommt darauf an. Polizeipraktiken im Allgemeinen und auch der Rassismus bei der Polizei sind in hohem Maße lokal spezifisch. Der Polizeichef aus dem Film spricht über die Polizei in Missouri, das heißt in den amerikanischen Südstaaten, bei der man eine historische Kontinuitätslinie bis zur Sklaverei ziehen kann - die Polizei ist dort traditionell eine Institution zur Aufrechterhaltung weißer Dominanz. In Deutschland gibt es traditionell auch polizeilichen Rassismus, aber erstens mit anderen historischen Kontinuitäten, anderen Feindbildern und anderen Funktionsweisen, und zweitens gab es in Deutschland auch zumindest Ansätze von Reformmaßnahmen und Sensibilisierungsversuchen, die in manchen Bundesländern die Situation auch real verbessert haben - wenn auch, wie der Fall in Hessen zeigt, nicht überall. Interessant ist an dem Zitat von Herrn Lischka allerdings noch etwas anderes: Er spricht von »Radikalen« in der Polizei. Die Polizei hat aber kein Problem mit »Radikalen«, sondern mit Nazis - die Strukturen der Polizei befördern gerade nicht etwa Linksradikalismus und auch nicht unbedingt andere Formen »radikaler« Weltsichten, sondern spezifisch rechte und rassistische Einstellungen und Denkweisen.

Daniel Loick

Daniel Loick ist Fellow am Center for Humanities and Social Change in Berlin. Soeben hat er im Campus-Verlag das Buch »Kritik der Polizei« herausgegeben, das sich u.a. mit polizeilichem Rassismus und mit der Frage von Polizei und Rechtsstaatlichkeit auseinandersetzt. 

Waren Sie überrascht, als sie von dem Fall der Frankfurter Polizeiwache gehört haben?

Ich war keineswegs überrascht. Betroffenenverbände und Opfergruppen weisen schon seit sehr langer Zeit auf den Rassismus bei der Polizei hin. Sie werden aber im öffentlichen Diskurs nicht ernst genommen, ihre Berichte und ihre Zeugenschaft wird häufig vor Gericht oder in den Medien abgewertet, was ja eine Verlängerung und Wiederholung der rassistischen Erfahrung darstellt. Rassistische Schikanierungen und Diskriminierungen gehören zum Alltagshandeln der Polizei dazu. Die Berliner Initiative KOP (Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt) spricht hier treffend von einem »alltäglichen Ausnahmezustand«.

Immer wieder heißt es in der Berichterstattung über den aktuellen Fall und bei vielen ähnlichen Fällen in der letzten Zeit, es handele sich um Einzelfälle. Würden Sie dem zustimmen oder gibt es bei der Polizei ein strukturelles Problem?

So zu tun, als gehe es nur um Einzelfälle, ist ja eine beliebte Argumentationsstrategie. Nein, es gibt ein strukturelles Problem. Polizistinnen und Polizisten berufen sich im Alltagshandeln meistens auf ihr polizeiliches Erfahrungswissen, etwa um Racial Profiling zu rechtfertigen. Dieses Erfahrungswissen entsteht aber nicht im luftleeren Raum, sondern es ist eingebettet in gesellschaftliche Stimmungen und Diskurse. Wenn zum Beispiel die Angst vor islamistischem Terror die Medien dominiert, dann werden muslimische Menschen mit Gefahr assoziiert und ihre Stigmatisierung und Diskriminierung nimmt zu. Das Gleiche gilt für Diskurse über sogenannte Flüchtlingskriminalität oder die Gleichsetzung von schwarzen Menschen mit Kriminalität. Hinzu kommt, dass die Polizei strukturell ein hierarchisches Milieu darstellt, das zudem von ihren Mitgliedern unbedingte Loyalität erwartet. Dies kultiviert nicht nur Autoritätshörigkeit und »Wir-gegen-die«-Einstellungen, sondern macht es anders gesinnten Polizistinnen und Polizisten auch schwieriger, Fehlverhalten von Kolleginnen und Kollegen zu thematisieren.

Nun gab es auch bei der Aufklärung in Hessen Ungereimtheiten. Offenbar wurde der Fall lange verheimlicht, das Landeskriminalamt erfuhr davon aus der Presse und der betroffenen Anwältin wurde nicht mitgeteilt, dass ihre Daten von einer Polizistin ausgespäht wurden. Wie wahrscheinlich ist die allseits angekündigte lückenlose Aufklärung angesichts der Tatsache, dass jetzt gegen die eigenen Kollegen ermittelt werden muss?

Von Menschrechtsgruppen wie Amnesty International und Opferverbänden wird schon lange eine unabhängige Beschwerdestelle gefordert, die genau das verhindert - dass die Polizei gegen sich selbst ermitteln muss. Die Hemmschwelle, gegen die eigenen Kolleginnen und Kollegen vorzugehen, ist begreiflicherweise sehr hoch - man wird sich hüten, heute den rassistischen Witz eines Kollegen zu monieren, mit dem man morgen wieder Streife fahren muss. Hinzu kommt, dass Polizisten und Polizistinnen sich auch vor Gericht häufig gegenseitig decken, zumal auch in den Staatsanwaltschaften und Gerichten häufig kein echter Aufklärungswille zu erkennen ist. Dementsprechend schlecht waren in der Vergangenheit die Erfahrungen mit solchen Ermittlungen - man denke nur an den Fall Oury Jalloh.

Inwiefern kann eine Institution wie die Polizei überhaupt politisch neutral sein und inwiefern verfolgt sie eigene Interessen?

Wie alle Menschen haben individuelle Polizistinnen und Polizisten - auch solche in Leitungsfunktionen - politische Einstellungen, und aufgrund des autoritären Milieus sind das in der Polizei überdurchschnittlich oft rechte Einstellungen. Man darf sich politisches Verhalten bei der Polizei aber nicht so vorstellen, als säßen da die Polizeichefs zusammen und überlegen, wie sie rechtes Programm verfolgen können. Sondern der Rassismus der Polizei reproduziert sich eher auf einer alltäglichen, trivialen Weise, im Kontakt zwischen der Polizei und ihrer Klientel auf der Straße. Der amerikanische Polizeitheoretiker William Muir spricht von »Straßeneckenpolitikern« (street corner politicians): Polizisten und Polizistinnen treffen jeden Tag und häufig unbewusst Entscheidungen, wen sie kontrollieren und wen eben nicht. Insofern kann die Polizei nicht politisch neutral sein. Eigene Interessen, Einstellungen und Haltungen spielen im Alltag des Polizeihandelns immer mit hinein.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal