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  • Textilindustrie in Myanmar

Rückfall mit Konsequenzen

Myanmar droht der Entzug von Handelspräferenzen mit der EU / Vor allem die Textilindustrie könnte einbrechen

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 7 Min.

Sie haben Namen wie «Aktion Arbeitsrechte», «Lasst uns einander helfen» oder «Gruppe Arbeitermacht» - seit das Militär in Myanmar vor acht Jahren die Macht an eine zivile Regierung übergab, gründeten sich unzählige kleine Gewerkschaften. Die Gruppen haben meist nicht mehr als eine Handvoll Mitglieder, die oft schon vor der Öffnung des Landes im Untergrund aktiv waren. Die Gruppen sind untereinander vernetzt - und sie sind kämpferisch. Und, auch das ist eine Auswirkung der Öffnung des Landes, ihre Kämpfe werden nun manchmal auch außerhalb Myanmars wahrgenommen.

Im Oktober 2018 vermeldeten Zeitungen in Europa die Niederschlagung eines Streiks von 30 Näherinnen der Fu-Yuen-Fabrik in einem Außenbezirk von Yangon. Sie hatten die für ihre Wiedereinstellung demonstriert, nachdem sie vom Fabrikbesitzer als Anführerinnen eines zweimonatigen Streiks für bessere Arbeitsbedingungen entlassen worden waren. Der chinesische Firmenbesitzer hatte Auftragsschläger bezahlt, um die Streikenden anzugreifen. 27 Näherinnen wurden dabei verletzt, sechs davon schwer.

Auch das deutsche Unternehmen Lidl ließ in der Fabrik Kleidung für die hiesigen Supermärkte produzieren. Die «Social Democratic United Front» (SDUF) hat, zusammen mit «All Burma Federation of Trade Unions» den Streik der Näherinnen organisiert. Ihre Beschreibung der Zustände in der Bekleidungsindustrie ist alarmierend: «Generell sind die Bedingungen für die Arbeiter in der Bekleidungsindustrie schrecklich. Fabrikbesitzer quetschen die Produktivität aus ihnen heraus. Die Frauen ruinieren ihre Gesundheit. »Die meisten Arbeiterinnen wissen jedoch nichts von den Arbeitsgesetzen und ihren persönlichen Rechten«, schreibt SDUF in einer Email an »nd«. Von Lidl heißt es auf Anfrage, das Unternehmen habe sich in Gesprächen dafür eingesetzt, eine Lösung zu finden: »Damit ähnliche Situationen nicht mehr entstehen, werden regelmäßige Gespräche mit den Arbeitnehmern geführt und das Fabrikmanagement unterstützend beraten.«

Die Näherinnen der Fu-Yuen-Fabrik forderten, dass ihre Überstunden bezahlt werden, dass nicht immer mehr von den Fabrikmanagern gefordert werde, mehr Personal sowie einen Tageslohn von mindestens 10 000 Kyat, etwa sechs Euro. In der Bekleidungsindustrie in Myanmar, so SDUF, sind sexuelle Belästigungen, deutlich niedrigere Löhne für Frauen und die Angst davor, gegen Vorarbeiter auszusagen, weit verbreitet.

Der Textilsektor ist die am schnellsten gewachsene Industrie seit der Öffnung des Landes, verantwortlich für drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zwischen 400 000 und 700 000 Menschen arbeiten in ihm, 95 Prozent davon Frauen. Seitdem die Europäische Union 2013 Handelspräferenzen unter dem sogenannten Alles-außer-Waffen-Abkommen einführte, steigerte Myanmar seine Exporte in die EU von 530 Millionen Euro 2015 auf über 1,3 Milliarden zwei Jahre später. Die EU ist der drittgrößte Importeur von Waren aus Myanmar, fast zehn Prozent aller Exporte von dort gehen nach Europa.

Dem Boom könnte die EU nun allerdings ein jähes Ende bereiten. Wegen der gewalttätigen Vertreibung von bis zu 700 000 Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya aus dem Bundesstaat Rakhine durch Sicherheitskräfte überlegt die Europäische Kommission, die Handelsprivilegien mit dem Land auszusetzen. In Myanmar wird die Deindustrialisierung eines ganzen Sektors befürchtet, zum zweiten Mal in diesem Jahrtausend. Schon 2003 wurde die Textilindustrie, damals die größte in Südostasien, durch Sanktionen durch die USA zerstört. Im Oktober 2018, etwa ein Jahr nach den erneuten Vertreibungen von Rohingya aus Rakhine durch Militäreinheiten, besuchten Vertreter der EU für vier Tage das südostasiatische Land, um zu untersuchen, ob die Tatmadaw, Myanmars Militär, weiterhin Gräueltaten an Rohingya oder Zivilisten in den nördlichen Bundesstaaten Kachin und Shan verüben. Etwa zu der Zeit erließen die USA und die EU Sanktionen gegen sieben hochrangige Militärs, die verantwortlich für die Gewalt sein sollen.

Im Europaparlament setzt sich auch die Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke für das Vorhaben ein, Handelspräferenzen zu streichen und drängt auf die formalen Abbruch der Verhandlungen über ein Investorenschutzabkommen EU-Myanmar, die derzeit bereits auf Eis liegen. Die Verfolgung der Rohingya erfolge systematisch, für die Hunderttausenden Vertriebenen könne in den riesigen Flüchtlingslagern in Bangladesch keine Sicherheit gewährleistet werden, wird kritisiert. Der Europaabgeordnete der LINKEN Helmut Scholz sprach sich schon 2012 gegen die Aufhebung von Sanktionen aus und forderte, diese nur auszusetzen. Damit würde Myanmar unter Aung San Suu Kyi die Möglichkeiten zur Überwindung der Armut geschaffen und die Militärs würden zur Fortsetzung des Weges zur Demokratisierung ermutigt. »Wir würden jedoch zugleich zeigen, dass wir wachsam bleiben und ein Rückfall in die Diktatur Konsequenzen hätte«, sagte Scholz in einer Rede.

Doch schon vor der Entscheidung der Europäischen Kommission kriselt die Wirtschaft in Myanmar. In einer Studie von Dezember vergangenen Jahres kritisiert die Weltbank die Politik der De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi. Der Bericht beschreibt politische Versäumnisse und Verzögerungen, die sich im Rückgang des Tourismus und der ausländischen Direktinvestitionen widerspiegeln, und zählt das Land auf einem der untersten zwanzig Plätzen, in dem sich Investitionen lohnen. Für das laufende Fiskaljahr 2018/19, das im März endet, rechnet die Weltbank damit, dass das Wachstum mit 6,2 Prozent um einen halben Prozentpunkt schwächer ausfällt als prognostiziert.

Auch viele Unternehmen in der EU stehen Investitionen in Myanmar zunehmend skeptisch gegenüber. Die »Myanmar Times« zitierte im Dezember die neueste Umfrage der Europäischen Handelskammer in Myanmar, wonach 81 Prozent der Unternehmen mit dem Geschäftsumfeld des Landes unzufrieden waren, verglichen mit 76 Prozent 2017 und 67 im Jahr zuvor.

Im Dezember appellierten die Handelskammer aus Myanmar sowie zwei Gewerkschaften an die EU, die Handelspräferenzen nicht auszusetzen und sich gleichzeitig weiter für Menschen- und Arbeitsrechte einzusetzen. Auch die Gewerkschaft SDUF sieht 450 000 Jobs in der Textilindustrie gefährdet, die oftmals die einzige Möglichkeit für ein Einkommen für ungebildete Frauen aus ländlichen Regionen sind. Die Aufhebung der Handelspräferenzen würde »vor allem die Bevölkerung und die Regierung treffen, nicht aber die Militärjunta«, so SDUF. Stattdessen solle der Westen die Industriezweige sanktionieren, die durch das Militär kontrolliert werden, vor allem im Öl- und Gassektor. Um die Krise in Rakhine zu lösen, sei internationaler Druck wichtig. Die verantwortlichen Generäle müssten strafrechtlich für die Kriegsverbrechen und Massenmord an Rohingya und anderen Minderheiten verantwortlich gemacht werden, fordert SDUF.

Der Druck aus dem Westen und die Gefahr eines weiteren wirtschaftlichen Einbruchs führen bisher nicht dazu, dass Regierungschefin Aung San Suu Kyi in Myanmar von öffentlich angezweifelt wird. Die Regierungschefin scheint willig, die erneute internationale Isolation ihres Landes mit einer engeren Zusammenarbeit mit China zu kontern.

Während der 1990er und 2000er Jahre, als Sanktionen und Boykott aus dem Westen Myanmar isolierten, war es schon einmal die Volksrepublik, die als eine der wenigen im Land investierte. Manche Beobachter sahen in der Öffnung mitsamt demokratischer Reformen auch den Wunsch des Militärs, die Abhängigkeit von China zu verringern. Die erste zivile Regierung unter Thein Sein ließ ab 2011 auch einige chinesische Großprojekte einfrieren. Am bekanntesten ist der Stopp des Baus des Myitsone-Wasserstaudamms, der vor allem Strom für die chinesische Provinz Yunnan liefern sollte und gegen den die Bevölkerung heftig protestierte.

Suu Kyi könnte diesen Prozess umzukehren und fördert chinesische Großprojekte wie die Letpadaung-Mine in Monya zu fördern - auch gegen den Widerstand der Bevölkerung. Für die Volksrepublik ist der China-Myanmar-Korridor weiterhin wichtiges Puzzlestück ihrer Initiative Neue Seidenstraße. Wanbao, eine Tochterfirma des Waffenproduzenten China North Industries Corporation, operiert seit 2010 in Myanmar. In einem Joint Venture mit der Union of Myanmar Economic Holding, einem Unternehmen im Besitz des Militärs, betreibt sie die Mine. Nun möchte Wanbao bis zu zehn Millionen US-Dollar investieren und Voruntersuchungen zur weitflächigen Ausweitung der Mine abhalten. Offizielle sprechen auch davon, den Myitsone-Staudamm doch zu realisieren, der Chinesische Botschafter in Myanmar soll Gegnern des Projektes gedroht haben.

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Beim Militär, das in seinen Reihen im Verhältnis zum Nachbarn China gespalten ist, wird Suu Kyis Wende argwöhnisch beobachtet. Und es scheint auch eine Alternative zu geben: In Indien hat sich Realpolitik im Umgang mit dem Nachbarn durchgesetzt, Kritik wegen der Verfolgung der Rohingya ist nicht zu hören. Mit der sogenannten Act-East-Politik will Indien den Handel mit den südostasiatischen Staaten ausbauen, aus Myanmar erhofft sich die schnell wachsende Wirtschaft Öl- und Gaslieferungen, die Infrastruktur wird ausgebaut. Dazu kommt, dass Indien sich Unterstützung von Myanmar erhofft, um gegen Rebellen vorzugehen, die im Grenzgebiet beheimatet sind und sich nach Operationen nach Myanmar zurückziehen. Vielleicht am wichtigsten: In Indien werden die sich verbessernden Beziehungen zwischen Suu Kyi und dem Rivalen China misstrauisch begleitet. Premierminister Narendra Modi hat im Juli 2018 Waffenlieferungen nach Myanmar ausgehandelt, in Indiens Medien wurde von einem Versuch geschrieben, Chinas strategischem Zugriff auf Myanmar zurückzudrängen.

Egal, wie sich die Europäische Union entscheidet, die wirtschaftliche Zukunft des Landes liegt wohl in der interregionalen Kooperation.

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