In der Hackordnung

Selbstmanager, Papasöhnchen: Der Dokumentarfilm »Germania« lässt den Abgrund zurückblicken

  • Stefan Gärtner
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer je etwas veröffentlicht hat (oder veröffentlichen will), der weiß (sollte wissen): Der Pressetext ist nicht irgendein Werbequatsch, den man dem Marketing überlassen darf, sondern das, was die, die sich für das Artefakt interessieren sollen, zuerst zu Gesicht bekommen. Der Reim, den sich das Publikum auf das künstlerische Angebot machen kann, wird vom Pressetext vielleicht nicht bestimmt, aber doch beeinflusst, und will ein junger Dokumentarfilmer von der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen seine Abschlussarbeit als vorschriftsmäßig unvoreingenommene ausweisen, muss er achtgeben, dass aus gutem Willen nicht schlechte Werbung wird: »Mitglied im Corps Germania zu sein - für die Burschen ist es gelebte Demokratie und eine Schule fürs Leben. Für Außenstehende ist die schlagende Studentenverbindung ein klaustrophobischer Kosmos mit strengen Regeln, starrer Hierarchie und merkwürdigen Ritualen. Wonach sehnen sich junge Männer in der digitalisierten, globalisierten Welt? Wie entsteht politische Haltung? Wann trifft man Entscheidungen fürs Leben? Die Filmemacher erkunden, wie sich die jungen Männer zwischen Tradition und Moderne zurechtfinden.«

Was für Außenstehende, die bereits eine Meinung zu schlagenden Studentenverbindungen haben, ein Kosmos aus Jungrechten, Netzwerkern und biersaufenden Papasöhnchen ist, macht die Ankündigung leutselig zu einem Internatsroman, und dass es bei einer Studentenverbindung um sehnsüchtige junge Männer zwischen Tradition und Moderne gehe, ist spätestens dann nicht falsch, wenn sie alle auf ihr Smartphone sehen. Aber die Leitfrage wäre doch eher, warum und wie der autoritäre Charakter nach Regeln, Hierarchie und Ritualen giert, Dingen, die in der Kindheit noch unters Rubrum Erziehung passen mögen, beim Mann aber, wo nichts Schlimmeres, den Leistungs- als Klassenesel markieren, jenen Typus Bürger, an dessen Unsterblichkeit schon Tucholsky verzweifelte (dass Corps und Film »Germania« heißen, hätte ihm eingeleuchtet). Was die neun jungen Herrschaften studieren, erfahren wir nicht, können es uns aber denken.

Vorderhand setzt Regisseur Lion Bischof die neutrale Freundlichkeit des Pressetexts fort, kann sich aber darauf verlassen, dass der Abgrund beizeiten zurückblickt: Für das schaurig schief gesungene Lied, das die Semesterantrittskneipe mit den Alten Herren eröffnet und von Männertreue und »Heil’gem Deutschem Reich« handelt, braucht es nicht mehr als ein Stativ und eine mittig ruhende, die »Ordnung« als solche reproduzierende Kamera.

Im Übrigen ist es Sache der Musik, das Unbehagen des Films mitzuteilen: dräuend synkopisches, tief gestopftes Blech, dass das Verklemmte aller Faschismen hübsch sinnfällig macht und mit einem Max-Ophüls-Preis für die »beste Filmmusik in einem Dokumentarfilm« bedacht worden ist. Wer, gerade im Dokumentarfilm, auf Musik als allzeit bloß Verdoppelndes allergisch reagiert, muss finden, dass sie hier füglich angestellt ist, das Dilemma aus Empathie und Distanz aufzulösen. Unmittelbar skandalös ist wenig und das politischste Statement noch das, das den Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus nicht gelten lassen will, was ja eine völlig zutreffende Beobachtung ist.

Dieses Statement stammt von einem, der, weil er sein gutmenschliches Elternhaus hasst, so etwas wie der Rechtsintellektuelle ist, und insoweit haben wir es dann doch mit einer invers Kästnerschen Internatserzählung (inklusive Schulausflug) zu tun, in der es den Streber gibt, den Gemütlichen, den blonden Simpel und den reflektierten Weichen (eine Art Sebastian aus dem »Fliegenden Klassenzimmer«), der, »Fuchs« und in der dritten Generation Verbindungsstudent, sagt, worum es geht: »Man steht halt in der Hackordnung ganz unten. Also, wenn du Fehler machst, kriegste halt immer einen auf die Schnauze. Und dann is man’s vielleicht auch irgendwann leid, einfach nur der zu sein, der immer rumkommandiert wird. Man möchte halt dann irgendwann auch mal selber das Wort führen können und dürfen.«

Erwachsenwerden als Hineinwachsen in Herrschaft, und wer da nun den Mund verzieht, soll sich ruhig erst mal den Balken aus dem Auge ziehen. »Man reift hier relativ schnell zum richtigen Mann ran. Man wird auch in gewisser Weise dazu gezwungen.« Und der Mann ist der, den Klaus Theweleit in seinen »Männerphantasien« beschrieben hat.

Das Wort im engeren Sinne führen kann freilich keiner, druckreife Sätze sind eher Ausnahme als Regel, und dass der Rangälteste der hilfloseste Mitteilungsruderer ist, ist so symptomatisch wie der Umstand, dass genau dieser Pfosten, der sich von seinen Muschkoten das Taschentuch reichen lässt und später vom »Selbstanspruch, zur Elite zu gehören« faselt, den Gegenpol zur digitalen Welt bloß im Selbstmanagement, nämlich der Rauchentwöhnung per »GROW-Prinzip« gefunden zu haben glaubt: »Und dann zeig ich euch noch die ultimate success formula.« Sie wird was mit den Fehlern und der Schnauze zu tun haben und damit, zur rechten Zeit das Taschentuch zu zücken, und schon dieser Urszene wegen sei der Film belobigt.

»Germainia«, Deutschland 2018. Regie: Lion Bischof., Länge: 81 Minuten.

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