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»Wir haben Geschichte geschrieben«

Die Bergbaugegnerin Maria Tempora Pintado Arévalo über den Erfolg ihrer Initiative im peruanischen Tambo Grande

  • Sonja Gerth, Mexiko Stadt
  • Lesedauer: 8 Min.

Wie sollten Anwohnerinnen und Anwohner erfolgreich gegen ein multinationales Unternehmen vorgehen, das in ihrer Region Bergbau betreiben will. Maria Tempora Pintado Arévalo gibt ihre Erfahrungen aus Perú gerne weiter an basisorientierte Bewegungen und Frauenorganisationen in ganz Lateinamerika. Der Distrikt, Tambo Grande, war der erste in Lateinamerika, in dem die Bevölkerung zur Einführung eines Megaprojekts befragt wurde. Das Ergebnis war ein eindeutiges Nein.

Wie haben Sie gegen das Bergbauunternehmen gewonnen?

Maria Tempora Pintado Arévalo

Maria Tempora Pintado Arévalo hat zusammen mit anderen Anwohner*innen vor mehr als 15 Jahren Bergbau in ihrer Region, Tambo Grande, verhindert. Heute gibt sie ihre Erfahrungen weiter. Ihre Aufgabe heute sieht sie in der Organisation der Frauen in der sich ausbreitenden Agroindustrie. Während einer Reise internationaler Menschenrechtsverteidigerinnen durch Honduras sprach mit ihr Sonja Gerth von der mexikanischen Agentur Cimacnoticias.

In Tambo Grande gab es ein Bergbauprojekt namens Manhattan Minerals. Unter Tambo Grande, einer Stadt drei Stunden von meinem Wohnort entfernt, gibt es Gold. Das heißt, sie wollten die Stadt an einen anderen Ort verlegen. Die Bergbaugesellschaft ließ sich nieder, kaufte viel Land und installierte ihre Maschinen. Alles sollte vor Ort verarbeitet werden, neueste Technologie! Es gab schon Erkundungen, Probebohrungen, einige Häuser hingen schon in der Luft. Das Schlimme ist, dass ein Tal namens San Lorenzo betroffen gewesen wäre, das landwirtschaftlich geprägt ist. Dort werden Mangos, Zitronen und Bananen für den Export angebaut.

Es ist ein grünes Tal, das von einem großen Reservat bewässert wird, das sicherlich verunreinigt würde. Das heißt, das ganze Tal könnte absterben, und das ist noch schlimmer als das Schicksal einer einzelnen Stadt. Also haben wir uns organisiert, alle Bauern, Bäuer*innen haben eine »Verteidigungsfront« gebildet, so nannte sich die Organisation. Die war angeführt von einem Mann, aber wir waren auch dabei, drei weitere Frauen und ich. Wir sind von Haus zu Haus gegangen und haben die Leute eingeschrieben. Tambo Grande hat 16 Gemeinden mit den jeweiligen Zentren, aber es gibt 183 Dörfer und Weiler, insgesamt ungefähr 10.000 Menschen. Die haben wir organisiert und mit Demonstrationen angefangen, nicht eine, nicht zwei, sondern viele. Aber an einem Tag im Februar 2001 sind wir ins Lager gegangen und haben es verbrannt. Mit allem!

Das Lager der Firma?

Genau! Maschinen, Autos, alles haben wir verbrannt und dann sind sie abgehauen.

Aber sind Sie dafür nicht angeklagt worden?

Sicher! Bei den Protesten wurde an diesem Tag auch einer unserer Anführer getötet, Godofredo García Baca, und sie haben 38 Anführer*innen angeklagt, darunter auch mich. Aber sie haben uns schon freigesprochen. Acht Anführer*innen, darunter eine Frau, die bereits verstorben ist, waren achtzehn Monate im Gefängnis. Zufrieden waren wir nicht, denn wir wussten, dass sie zurückkehren werden, deswegen haben wir uns erneut organisiert, um eine Bürgerbefragung zu organisieren. Zu der Zeit gab es in Peru nirgendwo eine vorherige Befragung. In ganz Lateinamerika nicht. In Tambo Grande haben wir es zum ersten Mal in der Geschichte geschafft, deshalb haben wir in Lateinamerika Geschichte geschrieben. Wir waren die ersten, die eine freie, vorherige und informierte Abstimmung durchgeführt haben.

Wie haben Sie die organisiert? Offensichtlich muss sie ja demokratisch sein...

Wir haben zu Wahlen aufgerufen, als ob wir den Präsidenten wählen würden. Die Verteidigungsfront hat harte Kleinstarbeit geleistet. Haus für Haus, Dorf für Dorf, Zentrum für Zentrum. Wir haben informiert über die Vor- und Nachteile des Bergbaus, und dann sind auch viele internationale NGOs gekommen, die uns unterstützt haben. Es war ein voller Erfolg! 98 Prozent haben im Distrikt Tambo Grande dagegen gestimmt und gesagt: »Nie wieder Bergbau in dieser Stadt!«

Wie viele Leute waren es insgesamt?

Mehr als 10.000 Menschen haben gewählt. Es war eine große Mobilisierung, bei uns gibt es keine Busse oder so etwas, das sind Lastwagen, auf denen zusammengepfercht die Leute zum Wählen kamen. Weil wir unser eigenes Entwicklungsmodell festlegen wollten, die Landwirtschaft.

Später sind dann einige NGOs geblieben, und die haben uns Frauen gesagt: »Sie waren schon die Hauptakteurinnen, werden aber gar nicht erwähnt, auch nicht in den Videos. Warum organisieren Sie sich nicht?« Also haben wir den Bezirksverband der Frauen von Tambo Grande gegründet, ich war acht Jahre lang Präsidentin. Diese Organisation war ein Erfolg. Und warum? Weil wir es geschafft haben, den Präsidenten der Verteidigungsfront zum Bürgermeister zu machen. Und da wir auf der gleichen Linie waren, wollte er mit uns zusammenarbeiten. Zuerst haben wir ein Hektar Land erhalten. Im folgenden Jahr 200.000 Soles (heute rund 53.000 Euro), um mit dem Bau unseres »Hauses der Frau« anzufangen. Mittlerweile gibt es ein Auditorium für bis zu 300 Personen, eine Küche, und wir haben ein großes Stück Land, auf dem wir Pflanzen anbauen können.

Wir hatten eine sehr starke politische Position. Für alles, was in Tambo Grande geschah, hat man uns nach unserer Meinung befragt, wir waren Teil der Versammlung, die über den Entwicklungsplan entschieden hat. In dem Dokument haben wir unsere Agenda für die Gleichberechtigung verankert und erreicht, dass jährlich zwei Prozent des Haushalts in die Unterstützung unserer Landwirtschaft fließen, Hühnerzucht, Schweine, der Anbau von Johannisbrotbäumen, und die Produktion von Honig. Das war eine gute Zeit. Heute ist die Organisation geschwächt, wie es halt passiert, unsere vierte Präsidentin hat mehr ihre persönlichen und finanziellen Interessen gesehen als die der Gemeinschaft.

Ist sie denn noch im Amt?

Ja, schon acht Jahre lang, und sie macht absolut nichts. Seit dem 1. Januar gibt es wieder einen Bürgermeister, der auf unserer politischen Linie ist, und wir sind schon in Gesprächen, um uns neu zu organisieren. Soziales Engagement ist nicht verkäuflich, die Anführer*innen auch nicht.

Damals, als die Bergbaufirma kam, hat das Unternehmen wie viele andere sicherlich versucht, die Bevölkerung zu spalten. Wie haben Sie diese Herausforderung gemeistert?

Sehen Sie, das ist mehr als 15 Jahre her, dass die Bevölkerungsbefragung durchgeführt wurde. Damals wurde die Landwirtschaft noch von Kleinbauern betrieben, das heißt jeder hat sein eigenes Land und baut seine Produkte an. Es gab noch nicht so viel Export wie es heute gibt. Wenn das Unternehmen heute nach Tambo Grande zurückkehren wollte und wir eine Befragung durchführen würden, würden wir keine 98 Prozent Nein mehr erreichen. 20 Prozent vielleicht, leider, denn heute ist das San Lorenzo Tal vom Agroexport geprägt, hauptsächlich Zuckerrohr und Weintrauben.

Dort gibt es viel Arbeit für Frauen, das soziale Gefüge ist geschwächt, die Organisationen sind nicht mehr so stark. Früher haben wir 300 Frauen im Auditorium des Hauses der Frau versammelt, heute sind es vielleicht 20, weil alle arbeiten gehen. In meiner Region, Piura, werden in der Exportindustrie viele Frauen ausgebeutet. Mango, Avocado, Bio-Bananen und Weintrauben großflächig angebaut. Die Arbeiterinnen stehen um ein Uhr morgens auf, um ihr Frühstück zuzubereiten und ihren Söhnen und Töchtern etwas auf dem Herd zu lassen, und dann fahren sie zur Arbeit. Bei 38 Grad stehen sie auf dem Feld und pflücken Trauben, und um sechs, sieben Uhr abends kehren sie in alten Bussen zurück, wie in einem Viehtransport. Und alle Frauen sind jung. Ich mache mir Sorgen, in 20 Jahren wird die Sterblichkeit unter Frauen enorm steigen, weil diese jungen Frauen zwischen 20 und 30 Jahren einfach nicht alt werden!

Das heißt, Sie müssen nun die Frauen innerhalb der Exportindustrie organisieren?

Auf jeden Fall! Es gab auch eine Gemeinde, die uns bei der Befragung sehr unterstützt hat, Comunidad Campesina San Juan Bautista de Locuto. Genau dort gibt es jetzt ein Bergbauunternehmen, das die Strategie anwendet, Lebensmittel zu verschenken. Die Frauen bekommen vier Hühner für die Aufzucht. Oder wenn eine Frau zu viel redet, sagen sie 'Weißt du was? Wir bringen Dich nach Lima, schenken dir die Flugreise und ein gutes Hotel, und dann kannst Du darüber sprechen, dass du kein Wasser hast, nicht pflanzen kannst und der Bergbau besser ist.’ Und die Frauen machen das! Das heißt, die Arbeit des Unternehmens ist sehr gefährlich, aber wir werden alles tun, um den Bergbau dort zu verhindern.

Der Erfolg, den sie hatten, reicht 20 Jahre zurück. Sie sind jedoch Teil dieser Mission von Menschenrechtsverteidigerinnen nach Honduras. Was machen Sie, um Ihr Wissen an diejenigen, die heute ihr Land verteidigen, weiterzugeben?

Schauen Sie, ich bin schon an viele Orte gereist, in Perú nach Cajamarca, wo es ein bekanntes Projekt namens »La Conga No Va« gibt, dann nach Brasilien, nach Kolumbien und Bolivien. Wo immer ich hingehe, erzähle ich den Frauen, die ich treffe, wie unser Kampf war und welche Strategien wir angewendet haben. Zum Beispiel haben wir in bestimmten Situationen Brigaden von Frauen gebildet, und uns mit Westen in einem Kreis aufgestellt, wenn da jemand Fremdes kam haben wir ihm einen Tritt verpasst und sie haben uns respektiert. Sie haben es nicht gewagt, an uns vorbeizugehen, nicht einmal als Gruppe. Ausserdem hat uns die Spiritualität geholfen. Zum Beispiel gibt es in Piura die Lagunen von Huancabamba, Heilquellen, die sind weltweit bekannt.

Aber um dort einzutreten, muss man bestimmte Rituale einhalten. Dann kam eine Bergbaugesellschaft und wollte Mineralien abbauen, und wissen Sie, was passiert ist? Sie haben eine Vorausmission geschickt, mit fünf Personen, ein Koch, ein Journalist, und Spezialisten, um die Studien zu machen. In der Gemeinde hat man ihnen gesagt, sie müssen erst die Pachamama (Mutter Erde) um Erlaubnis bitten, die heiligen Lagunen zu betreten. Aber sie meinten Nein, sie hätten GPS und die besten Kommunikationsmittel der Welt. Das war genau das Falsche, die Mission ging verloren. Es dauerte mehr als einen Monat, bis sie sie gefunden haben, tot. So ist das, wenn die Menschen das Wissen unserer Vorfahren und unsere Kultur nicht respektieren.

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