SPD hat neues Sarrazin-Problem

Thüringer Genossen sind entsetzt über Einladung eines Landtagsabgeordneten an den Autor

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.

Nicht nur die Thüringer SPD diskutiert seit dem Wochenende intern heftig über eine Einladung des Ex-AfD-Politikers Oskar Helmerich, der 2016 zu den Sozialdemokraten gewechselt war und seit damals als SPD-Abgeordneter im Thüringer Landtag sitzt. Nach einem Bericht der »Ostthüringer Zeitung« (»OTZ«) vom Samstag hat Helmerich nämlich den Autor Thilo Sarrazin zu einer Buchlesung nach Erfurt gebeten - und seine Parteifreunde damit eiskalt erwischt. Sowohl der Landesverband als auch die Landtagsfraktion distanzierten sich umgehend von der Einladung. Die Thüringer Jusos fordern, die geplante Veranstaltung abzusagen. Während sich gleichzeitig jede Menge Spott über die Sozialdemokraten im Freistaat ergießt - und das nur wenige Monate vor der Landtagswahl im Oktober.

Laut »OTZ« hat Helmerich Sarrazin eingeladen, damit dieser vier Tage vor der Europawahl in der Landeshauptstadt aus seinem Buch »Feindliche Übernahme« lesen kann. »Thilo Sarrazin spricht vielen Menschen aus dem Herzen, die sich aufgrund einer Schweigespirale oft nicht mehr zu sagen trauen, was sie denken«, wird Helmerich von der Zeitung zitiert. Auch Sarrazin ist SPD-Mitglied. Die Partei hat schon mehrfach erfolglos versucht, den früheren Berliner Finanzsenator auszuschließen. In den vergangenen Jahren war Sarrazin immer wieder vorgeworfen worden, mit seinen Äußerungen rassistische Stereotypen zu reproduzieren. Sarrazin hatte etwa einmal gefordert: »Generell kein Zuzug mehr außer für Hochqualifizierte und perspektivisch keine Transferleistungen mehr für Einwanderer.«

Nach Einschätzung Helmerichs allerdings folgt die Einladung Sarrazin den Absichten der Sozialdemokraten im Landtagswahlkampf. »Die Einladung ist eine Maßnahme, die in das politische Konzept der Thüringer SPD passt, um Wähler zu werben, die zur AfD abgewandert sind«, sagte Helmerich der »OTZ«.

Das bestreitet Thüringens SPD-Chef Wolfgang Tiefensee energisch. »Ich will bisherige AfD-Wähler durch kritische Auseinandersetzung zurückgewinnen, nicht durch Anbiederung«, twitterte Tiefensee am Samstag. Die geplante Buchlesung sei »ein unabgesprochener Alleingang von Oskar Helmerich, keine Veranstaltung der Thüringer SPD«, wird Tiefensee zudem in einer Mitteilung der Partei zitiert. »Ich distanziere mich ausdrücklich von ihm und den islamfeindlichen Aussagen Sarrazins.« Auch aus der SPD-Landtagsfraktion kamen ähnliche Aussagen. Die Fraktion sei weder organisatorisch noch inhaltlich an einer Veranstaltung mit Thilo Sarrazin beteiligt, sagte eine Fraktionssprecherin.

Der sozialdemokratische Nachwuchs im Freistaat fühlt sich angesichts des Alleingangs von Helmerich in jenen Vorbehalten bestärkt, welche die Thüringer Jusos wie auch viele Parteilinke gegenüber der Aufnahme Helmerichs in die SPD hatten. »Sarrazin ist ein Rassist und Antisemit«, sagte der Landesvorsitzende der Thüringer Jusos, Oleg Shevchenko, am Samstag. »Seine Thesen haben den Hass noch stärker gemacht und die Neue Rechte beflügelt. Sie sind das Gegenteil von Sozialdemokratie. Die Veranstaltung gehört abgesagt.«

Zur Wahrheit gehört aber auch, worauf Thüringens CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzender Mike Mohring hinweist: Helmerich sichert die Ein-Stimmen-Mehrheit von Rot-Rot-Grün im Thüringer Landtag - und das, obwohl er zu den Spitzenmännern der Thüringer AfD gehörte, als die Partei im Freistaat im Aufbau war. Er war 2014 auf Listenplatz zwei hinter dem AfD-Rechtsaußen Björn Höcke über die Landesliste der Rechten in den Landtag eingezogen. Weil die Landtagsabgeordnete Marion Rosin im Jahr 2017 überraschend von der SPD zur CDU gewechselt war, hätte Rot-Rot-Grün ohne Helmerich keine Mehrheit mehr im Erfurter Parlament. Entsprechend schadenfroh reagierte Mohring ebenfalls am Samstag auf Twitter auf die Aufregung um die Einladung Helmerichs. »Den Aufschrei hätte ich wieder erleben wollen, wenn das einer von uns gemacht hätte«, schrieb er.

Auch anderswo ergießt sich jede Menge Häme über die Thüringer SPD. So kommentierten bei Twitter am Wochenende zahlreiche Nutzer die Debatte um den Alleingang Helmerichs mit Aussagen, die sich in einem Satz zusammenfassen lassen: So was kommt von sowas.

Am Montag teilte die SPD-Fraktion im Thüringer Landtag mit, sie strebe keinen Ausschluss von Helmerich an.

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