Viel geweint, im Herz vereint

Die Männerrockgruppe Rammstein vergießt Tränen für Deutschland. Natürlich in kritischer Absicht

  • Jonas Engelmann
  • Lesedauer: 3 Min.

»Kämpfer für linken Patriotismus« seien Rammstein, so hat Gitarrist Paul Landers das Anliegen der Band vor ein paar Jahren in einem Interview einmal zusammengefasst. In dieser Aussage ist eigentlich alles enthalten, was die Band ausmacht. »Kämpfer« sind die Musiker permanent, sie leben als Soldaten in einer Welt ohne Frauen, und in jeder ihrer pathetischen und theatralischen Gesten steckt der Wille, das Gegenüber einzuschüchtern und ihm gleichzeitig etwas anzubieten: Im Zusammensein unter dem Lichtdom beim Livekonzert kannst auch du ein Gefühl der Stärke und Macht spüren.

Das Linkssein der Band kommt aus dem Bauch, ist ein gefühltes, nicht Überzeugung, und auch dieses Gefühl ist ein männlich-soldatisches: »Wir marschieren, aber wir sind links, absolut klar bekennend links«, erklärt Keyboarder Flake.

Dem »Patriotismus« haben sie nun, nach langer Bandpause, ihr Comeback-Video gewidmet: »Deutschland«. Auch dieser Patriotismus hat viel mit Gefühlen zu tun, mit verletzten Gefühlen, die das Land, das sie lieben wollen, ihnen bereitet hat. »Du hast viel geweint, im Geist getrennt, im Herz vereint«, fasst Till Lindemann sein Leiden an und durch Deutschland zusammen.

Die Band leide unter der deutschen Geschichte, unter der Gewalt, die von der Verteidigung gegen die römischen Invasoren über die Hexen- bis zur Bücherverbrennung reicht, erklärten die Verteidiger der Band, nachdem der erste Skandal nach der Veröffentlichung des Video-Teasers abgeklungen war, der die Band als KZ-Häftlinge zeigt. Das Musikvideo feiere die »Kunst der Ironie« (»Die Zeit«), Rammstein seien »Meister der Provokation« (»Berliner Morgenpost«), und der »Spiegel« ist sich sicher: »So eindeutig wie hier haben sich Rammstein bisher noch nie vom Nationalismus distanziert.« Denn: »Deutschland - mein Herz in Flammen, will dich lieben und verdammen«, der Refrain, streue ausreichend Ambivalenz in die Suche der Band nach einer Liebe zu ihrer Heimat. Dieses Bedürfnis nach Heimatliebe, darüber scheint sich das Feuilleton einig zu sein, sei eine ganz natürliche Angelegenheit, eine tief in der »Seele« verankerte Sehnsucht, wegen der auch das Herz schon mal »in Flammen« stehen könne. Deutsche Männer haben gekämpft und gelitten für dieses Land, dessen »Atem kalt« ist und das zu lieben der dringlichste Wunsch der Musiker ist - und von dem sie geliebt werden wollen: »Deutschland - deine Liebe ist Fluch und Segen«. Liebe braucht Bestätigung, und so versichern sich Rammstein der Treue ihrer Fans und der anderen nach Heimat suchenden Menschen des Landes. Aus deren Verteidigungshaltung gewinnt die Band ihre Kraft, der Skandal ist ihr Motor, die KZ-Bilder sind ihr Mittel zum Zweck.

Während Rammstein in ihrem Video »Stripped« von 1998 mit Bildern aus Leni Riefenstahls NS-Propagandafilm »Fest der Völker« das Bild des nationalsozialistischen Idealkörpers abbildeten - Kunstfreiheit! Kritik! -, ist »Deutschland«, ihr aktuelles Video, nur noch ein »Fest des Volkes«. Ach nein, stimmt nicht ganz, man müsste sagen: der Männer des »deutschen Volkes«. Denn die einzige Frau im Reiche Rammstein ist eine schwarze Germania, die zwischendurch ausgeweidet und aufgegessen wird; ein notwendiges Opfer. Die sogenannte Neue Deutsche Härte, für die Rammstein mit ihrer Musik stehen, lässt neben Blut und Schweiß sogar Tränen zu, wenn sie denn für Deutschland vergossen werden. In kritischer Absicht selbstverständlich.

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