Ex-Bischof verdächtigt

Unabhängige Expertenkommission untersucht Missbrauchsvorwürfe in Hildesheim

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Zum Ehrenbürger hatte ihn die Stadt Hildesheim gemacht, eine Straße trägt seinen Namen, in Ehrfurcht erstarrten Gläubige, wenn er an ihnen in glänzendem Ornat vorüberschritt in den Mariendom: Bischof Heinrich Maria Janssen, von 1957 bis 1982 Oberhirte von zeitweise bis zu 770 000 Katholikinnen und Katholiken in einem weiten Teil Niedersachsens. Gewaltig kratzen am posthumen Glanz des Prälaten ernst zu nehmende Missbrauchsvorwürfe.

Der erste Vorwurf - ein ehemaliger Messdiener hatte 2017 sexuelle Übergriffe durch Janssen geschildert - ließ sich nicht eindeutig belegen. Ein weiterer, ebenfalls von einem früheren Messdiener erhoben, erscheint jedoch derartig schlüssig, dass ihn auch der amtierende Bischof Heiner Wilmer als glaubhaft bezeichnet. Er setzte jetzt eine Kommission ein, die diesen Fall, aber auch weitere Fälle im Bistum Hildesheim gründlich untersuchen wird.

Von besonderem Interesse dürfte dabei auch für die Öffentlichkeit die Frage sein, ob und inwieweit der jahrelang hoch geehrte Janssen sexuell motivierte Verfehlungen beging. Der ihn beschuldigende frühere Messdiener, mittlerweile 70 Jahre alt, hatte im vergangenen Jahr dem Bistum berichtet, wie er Ende der 1950er-Jahre von einem Kirchenmann ins Bischofspalais gebracht wurde. Dort habe er sich vor Janssen nackt ausziehen müssen. Nach der Beschau durch den Bischof habe ihn dieser wieder weggeschickt, sagt der frühere Bewohner eines kirchlichen Jugendheimes.

Das vierköpfige Gremium, das Licht ins Dunkel bringen will, wird Zeitzeugen und von Missbrauch Betroffene befragen sowie Akten aus dem Bistumsarchiv studieren - und es hat dabei alle Freiheiten und unbeschränkten Zugang zu internen kirchlichen Unterlagen. Das begrüßt die Leiterin der Untersuchungsgruppe, die frühere niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne): »Es wurde uns zugesichert, dass wir ohne irgendwelche Vorbehalte oder Einschränkungen seitens der Kirche recherchieren und arbeiten können«, betonte die Juristin bei der Vorstellung der Kommission am Mittwoch.

Zu ihr gehört neben Niewisch-Lennartz der ehemalige Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm aus Stuttgart. Er hatte 15 Jahre lang in Ludwigsburg die Zentralstelle der Justiz zur Aufklärung von Naziverbrechen geleitet. Zu den Untersuchenden zählen des weiteren die Diplompsychologen Gerhard Hackenschmidt und Peter Mosser vom Münchener Institut für Praxisforschung und Projektberatung, das bereits durch gutachterliche Arbeit in Sachen Missbrauch durch Kirchenleute tätig war. Kein Mitglied des Teams ist katholisch.

Was die Kommission aufklären soll, umriss Bischof Wilmer vor der Presse: »Wir wollen wissen, wie sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch auch in unserem Bistum möglich sein konnte, wer sein geistliches Amt ausgenutzt hat, um Verbrechen zu begehen.« Auch solle ermittelt werden, wer im Umfeld des Missbrauchsgeschehens »seiner Verantwortung nicht gerecht geworden ist«. Bis Ende 2020 will die Kommission eine ausführliche Studie verfasst haben, die Antworten auf diese Fragen gibt.

Heiner Wilmer sieht es als eine Pflicht, sich »ehrlich und schonungslos mit dieser düsteren Seite der Vergangenheit zu befassen«. Bei dieser Aufgabe ist Hildesheim unter allen 20 deutschen Bistümern bisher am weitesten fortgeschritten, meinen Experten.

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