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Zwischen Kraft und Verzweiflung

Derzeit findet in Berlin das arabische Filmfestival »ALFILM« statt. Den Organisatoren geht es vor allem um eins: Würde

  • Philip Malzahn
  • Lesedauer: 4 Min.

An einem Tag, an dem es beide nicht mehr aushalten, begeben sich ein Leprakranker und ein Waisenkind auf eine Reise, um die vielen Fragen zu beantworten, die ihnen nachts den Schlaf rauben: Wo komme ich her? Wer ist meine Familie? Warum bin ich so alleine? Ohne Geld und auf einem Eselskarren verlassen sie die »Kolonie« - ein Zuhause für Ausgestoßene wie sie selbst, und folgen dem Nil flussabwärts. Auf ihrer Suche erleben sie ein Ägypten, das zwar auch ihre Heimat ist, sie aber weder verstehen noch genießen können. Die beiden werden gefangen genommen, verprügelt und ausgelacht, bis sie, am Rande der Verzweiflung, sich endlich von dem befreien können, was ihnen ihr gesellschaftlich geformtes Spiegelbild stets vorgehalten hat: Scham.

»Youmeddine« (»Der jüngste Tag«) war der Eröffnungsfilm des diesjährigen 10. Arabischen Filmfestivals »ALFILM« in Berlin und ist ein schonungsloses Porträt zweier Ausgestoßener, die auf der Leinwand nicht viel mehr als ihr eigenes Leben darstellen. Der leprakranke Laienschauspieler Rady Gamal lebt auch sonst in einer solchen »Kolonie«, und Ahmed Abdelhafiz, der das Waisenkind spielt, ist dem Regisseur Abu Bakr Shawky auf der Straße in die Arme gelaufen. »Youmeddine« ist der erste Spielfilm des Jungregisseurs und wurde in diesem Jahr auf den Festspielen in Cannes gezeigt.

Der Film meistert eine Kunst, welche für die vielen von Repression verfolgten Künstler in der arabischen Welt oft überlebenswichtig ist: eine Gesichte zu erzählen, die vor politischem Inhalt nur so strotzt, ohne ihn jemals direkt zu erwähnen. »Youmeddine« handelt in erster Linie von zwei Analphabeten, die zwar stets mehr wissen, als ihnen zugetraut wird, sich jedoch nie zu ihrem Schicksal als großes Ganzes äußern. Aus einer gesellschaftlichen Perspektive aber ist es ein Film über ein Land, das keinen Platz für Außenseiter bietet: Für ihr verarmtes Erscheinungsbild werden die beiden Heimatsuchenden von der Polizei verhaftet und schikaniert.

Die Tatsache, dass bei der Eröffnung des Filmfestivals eine mehrköpfige Delegation ägyptischer Diplomaten auf den reservierten Plätzen zuschaute, unterstrich die subtile politische Kraft dieses Films im Rahmen des Festivals. Denn ein Programm zu bieten, das anhand würdevoller und menschlicher Geschichten von der politischen und gesellschaftlichen Zerrissenheit der arabischen Welt erzählt, ist eins der Ziele des Festivals, sagt Claudia Jubeh. Sie ist bei »ALFILM« für die jährliche Filmauswahl mitverantwortlich und vom ersten Tag an dabei. Im Gespräch mit dem »nd« erzählt sie, wie damals vor zehn Jahren eine kleine Gruppe Freunde und Bekannte auf die Idee kam, aus unregelmäßigen Filmvorführungen im kleinen Kreise ein arabisches Filmfestival zu machen. Dabei sei es ihnen wichtig gewesen, »mit sämtlichen Vorurteilen gegenüber der arabischen Welt aufzuräumen und den Menschen selbst ihre Stimmen wiederzugeben«.

Damit meint Claudia Jubeh sowohl negative als auch positive Vorurteile. Ob es sich dabei um die oft diskutierte Verschleierung von Frauen im Islam handelt, alte beduinische Traditionen, um islamistischen Terror oder etwas ganz Alltägliches, das Motto von »ALFILM« sei es, »keine Klischees zu bedienen«. Zudem möchten die Organisatoren ihre Leidenschaft für den arabischen Film mit dem Publikum teilen, auf ganz banale Weise. Die diesjährige Filmauswahl spiegelt dieses Vorhaben wider. Gezeigt wird eine enorme Bandbreite an Dokumentationen, Spiel- und Kurzfilmen - aus Marokko oder dem etwa 7000 Kilometer entfernten Irak. Für insgesamt zehn Tage können Besucher in die oft verschlossene Welt des arabischen Films eintauchen. Oft stehen nach dem Film die einzelnen Regisseure für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung.

Besondere Aufmerksamkeit gebührt in diesem Jahr dem algerischen Spielfilm »Al-Suada’« (»Die Seligen«). Gedreht wurde er während der Herrschaftsjahre des Staatspräsidenten Abdelaziz Bouteflika. Gezeigt werden mehrere Menschen, die, aus unterschiedlichen Generation stammend, jeder auf seine eigene Weise, mit den Verhältnissen kämpfen. Ob Drogenkonsum, Selbstmordversuche oder Auswanderungsgedanken - die Reaktionen auf ein Leben unter Bouteflika wirken allesamt erschreckend authentisch. Das hat seinen Grund. Wie die Regisseurin Sofia Djama verrät, lässt sie zum Beispiel einen Kleinkriminellen aus ihrem Wohnviertel die Rolle des jungen Rowdys spielen, der seinem Unmut durch Drogenkonsum und Gewalt Luft verschafft. Vergangene Woche bekam der Film überraschend historischen Wert, als in Algerien das Volk nach mehrwöchigen Protesten den langjährigen und schwerkranken Präsidenten Bouteflika zum Rücktritt zwang. Unabsichtlich hat die Regisseurin ein Werk geschaffen, das rückblickend viele der Gründe aufzeigt, die nun zum Sturz des Präsidenten geführt haben.

Das arabische Filmfestival in Berlin ist eine lohnenswerte Adresse für all jene, die versuchen, eine oft missverstandene Welt besser zu verstehen. Es läuft noch bis zum 10. April. Karten gibt es in begrenzter Anzahl auch an der Abendkasse.

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