Jetzt keine falschen Signale

Axel Troost und Jörg Cezanne begrüßen die neue Debatte über die »schwarze Null« im Grundgesetz

  • Axel Troost und Jörg Cezanne
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor zehn Jahren verankerte die damalige Regierungskoalition aus Union und SPD mit Unterstützung durch Grüne und FDP die Schuldenbremse im Grundgesetz. Von Gewerkschaften, progressiven Ökonomen, Sozialverbänden und der LINKEN wurde sie heftig kritisiert: wirtschaftspolitisch kontraproduktiv, ein Hindernis für notwendige Zukunftsinvestitionen und eine Bedrohung des Sozialstaats. Zwar sind begrenzte antizyklische Spielräume vorgesehen, aber erst die nächste Rezession wird zeigen, ob und wie stark die Schuldenbremse die Krise vertiefen und verlängern wird.

Das gilt auch für die Sozialausgaben. Schwarz-Rot hat bislang trotz Schuldenbremse kaum weitere Einschnitte in Sozialleistungen vorgenommen, weil die gute Konjunktur es nicht erforderlich machte und - noch viel wichtiger -, weil dank der niedrigen Zinsen jährlich Milliarden von Euro an Zinsausgaben beim Bund, den Bundesländern und allen Kommunen eingespart wurden - seit 2008 368 Milliarden Euro und alleine 2018 55 Milliarden Euro.

Bleibt die Frage der Zukunftsinvestitionen. Hier tun sich in den vergangenen Wochen interessante Entwicklungen auf. So gibt es innerhalb der SPD endlich wieder hörbare kritische Stimmen zur Schuldenbremse (unter anderem Cansel Kiziltepe, Michael Schrodi und Wiebke Esdar aus der SPD-Bundestagsfraktion sowie der SPD-Regierungschef des Landes Bremen, Carsten Sieling). Und auch aus wirtschaftsnahen Kreisen werden Bedenken geäußert. »Angesichts eines unübersehbar großen Investitionsbedarfs mindert die Schuldenbremse den politischen Handlungsspielraum und entbehrt einer ökonomischen Grundlage«, schreibt zum Beispiel Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln.

Es besteht weithin Einigkeit, dass in Deutschland ein dramatischer Rückstand bei den öffentlichen Investitionen besteht. Zur Abwendung einer drohenden Klimakatastrophe ist ein tiefgreifender sozial-ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft zwingend. Öffentliche Investitionen in erneuerbaren Energien, in Bus und Bahn, in energetische Gebäudesanierung etc. sind unverzichtbar. Aber nicht »nur« diese notwendigen Zukunftsinvestitionen »spart« sich der deutsche Staat, sondern er fährt auch die bestehende öffentliche Infrastruktur »auf Verschleiß« und »spart« sich die Erhaltungsinvestitionen. Dabei leuchtet jedem ein: Es ist viel teurer, in zwanzig Jahren neue Brücken, Schulen, Schienen oder Straßen zu bauen, als rechtzeitig bestehende vor dem Verfall zu bewahren. Notwendige Investitionen, die mit Verweis auf Schuldenbremse und »schwarze Null« unterbleiben, sind für zukünftige Generationen viel teurer als eine moderate Staatsverschuldung. Die plumpe Aussage, Staatsschulden seien eine unfaire Bürde für unsere Kinder und Enkel, stimmt also hinten und vorne nicht.

Neu ist: Inzwischen schlägt sogar die Unternehmensseite - die früher unisono für die Schuldenbremse war - lautstark Alarm, weil sie die nötige öffentliche Infrastruktur für die private Kapitalverwertung in Gefahr sieht. Das ist auch eigennützig, aber ökonomisch nicht falsch. Ökonomisch dämlich hingegen ist der krampfhafte Verweis auf Schuldenbremse und »schwarze Null«, wenn öffentliche, auf Kredit finanzierte Investitionen unterbleiben, die sich rechnen würden, weil sie die Wertschöpfung steigern, und sich über höhere Steuereinnahmen selbst finanzieren.

Als LINKE sollten wir daher gerade jetzt besonders lautstark an unserer Forderung nach einer Streichung der Schuldenbremse und einer Rückkehr zur »goldenen« Regel festhalten. Nach dieser »goldenen Regel« darf die Nettokreditaufnahme des Staates so hoch sein wie die öffentlichen Investitionen.

Wir sollten die neuen Diskussionen um die Schuldenbremse nutzen, um intensiv auf die SPD, gerade auf Länderebene, einzuwirken. Denn so manche Landes-SPD hält weiterhin daran fest, die Schuldenbremse in Länderverfassungen zu verankern. Es ist richtig, die engen Spielräume der grundgesetzlichen Schuldenbremse durch möglichst offene Ländergesetze voll auszuschöpfen. Dazu reichen aber einfachgesetzliche Ergänzungen beispielsweise in den Landeshaushaltsordnungen. Regeln zur Schuldenbremse in Länderverfassungen sind hingegen nicht erforderlich und setzen angesichts der neuen Diskussion ein falsches Signal.

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