LINKE will neuen Untersuchungsausschuss zu Treuhand

Der Schaden, den die Behörde angerichtet hat, sei bis heute eine wesentliche Ursache für den ökonomischen Rückstand des Ostens

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Berlin. Fast 30 Jahre nach der Wende will die LINKE im Bundestag einen neuen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Treuhand. »Das Treuhand-Trauma ist nicht überwunden«, sagte LINKEN-Fraktionschef Dietmar Bartsch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Verheerende politische Fehler, die in der Nachwendezeit gemacht worden seien, müssten ans Tageslicht und aufgearbeitet werden. »Der Schaden, den die Treuhand angerichtet hat, ist bis heute eine wesentliche Ursache für den ökonomischen Rückstand des Ostens und für politischen Frust vielerorts.«

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Die LINKE braucht aber noch mindestens zwei weitere Fraktionen, damit ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird. Der Vorstoß der Fraktion kommt wenige Monate vor wichtigen Landtagswahlen im Herbst in Sachsen, Brandenburg und Thüringen.

Ostdeutsche als Bürger zweiter Klasse

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE), aber auch SPD-Politiker hatten bereits eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Treuhand-Aktivitäten gefordert. Ramelow hatte im August der »Welt am Sonntag« gesagt, auch heute noch hätten »viele Ostdeutsche das Gefühl, sie würden wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Diese Emotionen stammen aus der Zeit, als die Treuhand das Zepter führte.«

Bartsch sagte, es sei »höchste Zeit«, dass sich der Bundestag erneut mit der Treuhand beschäftige. Dies sei auch eine Frage des Respekts gegenüber Millionen Ostdeutscher, die in dieser Zeit ihren Arbeitsplatz verloren hätten. »Wer im kommenden Jahr 30 Jahre Deutsche Einheit begehen will, muss ehrlicherweise anfangen, unter den riesigen Treuhand-Teppich zu schauen und aufzuräumen.«

In dem Antrag, den die LINKE in den Bundestag einbringen will, heißt es, bis heute bestehe eine erhebliche wirtschaftliche und soziale Kluft zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland. Als eine Ursache werde die Arbeit der Treuhand angesehen. »Das Wirken der Treuhandanstalt war von politischen und wirtschaftlichen Skandalen und bis in die Gegenwart reichenden Folgen begleitet, die auch aufgrund bislang weitgehend unzugänglicher Akten nicht im erforderlichen Maß aufgeklärt wurden.«

Treuhand hat Jobs vernichtet

Weiter heißt es, die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse der 90er Jahre seien unzureichend gewesen. »Zum einen wurden Akten zu einem großen Teil nicht öffentlich oder gar nicht vorgelegt. Zum anderen waren die Untersuchungen teils durch die noch laufenden, damals mehrheitlich politisch erwünschten Privatisierungsprozesse gehemmt.« Der Antrag liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

Die extremen Umbrüche im Zuge der Wiedervereinigung reichten von hoher, flächendeckender Arbeitslosigkeit in der Bevölkerung über die weitgehende Zerstörung von Industrie und Wirtschaft im Osten - bis hin zu einem gesellschaftlichen Werteverlust: »Dies verhindert bis heute eine wirkliche soziale und ökonomische Einheit. Es besteht ein hohes gesellschaftliches Interesse an einer neuerlichen Untersuchung und politischen Neubewertung der Arbeit der Treuhandanstalt.«

Ein neuer Untersuchungsausschuss solle unter anderem klären, inwieweit die Arbeitsweise der Treuhand die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland langfristig gehemmt habe. Untersucht werden soll auch, inwieweit und warum »überlebensfähige Treuhandunternehmen« geschlossen und Jobs vernichtet worden seien, die hätten erhalten werden können.

Der Ostbeauftragter der LINKEN-Fraktion, Matthias Höhn, sagte, ohne eine schonungslose Aufarbeitung des »Treuhand-Desasters« der 1990er Jahre sei eine wirkliche Vollendung der Deutschen Einheit nicht möglich. »Wir brauchen die Aufarbeitung und das parlamentarische Mittel des Untersuchungsausschusses, um maximal aufklären zu können.« Viele Ostdeutsche wollten zum Beispiel wissen, welche konkrete Rolle die damalige Bundesregierung gespielt habe und welchen Einfluss sie auf konkrete Entscheidungen genommen habe.


Symbol eines brutalen, ungezügelten Kapitalismus, verbunden mit Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit

Die Treuhand hatte eine zentrale Rolle bei der Umwandlung der DDR-Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft. Am 1. März 1990 beschloss der Ministerrat der DDR unter der letzten SED/PDS-Regierung die Gründung der »Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums«.

Der erste Treuhand-Chef, der 1991 ermordete Manager Detlev Rohwedder, prägte für die Arbeit der Anstalt die Grundsätze vom Privatisieren, Sanieren und Abwickeln. Millionen von Jobs im Osten fielen weg. Allerdings war die DDR-Wirtschaft zur Wende in großen Teilen marode, viele Industrieanlagen waren veraltet. Dazu waren die Absatzmärkte im Ostblock weggebrochen.

Die frühere Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), hatte die Arbeit der Treuhand 2015 zum 25. Jahrestag der Gründung scharf kritisiert. »Die Treuhand hat vielen, wenn nicht den meisten Ostdeutschen traumatische Erlebnisse beschert. Sie gilt im Osten definitiv nicht als Symbol einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft, sondern als das Symbol eines brutalen, ungezügelten Kapitalismus, verbunden mit Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit«, hatte Gleicke der Deutschen Presse-Agentur gesagt.

Ende 1994 wurde die Treuhand aufgelöst. Ihre Aufgaben übernahm im Wesentlichen die Bundesanstalt für vereinigungsbedingtes Sondervermögen. dpa/nd

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