Ein Schulhaus für Endayesus

Münchner Schüler helfen Kindern in Nordäthiopien ganz konkret

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Weg aus der nordäthiopischen Stadt Axum hinaus nach dem Dorf Endayesus ist weit. Wir nehmen eines der blauen Bajajs - dreirädrige Motorroller, die in Indien gebaut und nach Afrika verkauft werden - und knattern die asphaltierte Straße entlang. Irgendwann biegen wir dann nach rechts in eine Staubpiste ein und die Fahrt geht durch eine trockene, kahle Landschaft mit gelegentlichen Sträuchern und Kakteen. Schließlich wird die Piste wegen der Steine fast unpassierbar. »Dann gehen wir halt zu Fuß«, sagt Marcel Heuer. Das machen wir auch und nach einigen Gehminuten erreichen wir einen großen, staubigen Platz, auf dem sich etliche Kinder tummeln. Dahinter sind einige Lehmhütten zu sehen - wir sind in Endayesus.

Kaum haben die Kinder uns erblickt, stürmen sie auf uns zu und umringen uns. Es sind die Schüler der hiesigen Baumschule. Dabei handelt es sich aber nicht um die Aufzucht von Pflanzen. Diese Grundschulen heißen hier so, weil es kein Schulgebäude gibt. Also findet der Unterricht im Schatten von Bäumen statt. Ohne Stühle, Bänke, Toiletten, fließend Wasser. Äthiopien ist auch noch im Jahre 2019 eines der ärmsten Länder der Welt und der Großteil der Bevölkerung lebt auf dem Lande.

Deshalb ist Marcel Heuer hier. Der 52-jährige ist Vorsitzender des Nürnberger Vereins »Hawelti e.V.«, der sich für ein Schulgebäude in diesem Dorf einsetzt: Bestehend aus vier Klassenräumen, einem Lehrerzimmer und einem überdachten Gruppenraum. Später sollen eine Komposttoilette und eine Regenwasserzisterne hinzukommen. Fertiggestellt wurde bisher die Bodenplatte aus Beton. Darauf sind einige Arbeiter dabei, Verschalungen für die Wände anzubringen. »Das geht ja schneller voran, als ich gedacht habe«, kommentiert Heuer die Bauarbeiten.

Und hier kommen die Schüler des privaten Obermenzinger Gymnasiums in München ins Spiel. Sie sind der Grund, dass in dem 7000 Kilometer entfernten Dorf ein Schulgebäude gebaut wird. Begonnen hat alles mit einem Physik-Projektseminar im September 2017. Die Schüler hatten sich vorgenommen, Entwicklungshilfe konkret anzugehen. Will heißen: Ein kleines Schulgebäude planen und lernen, wie man klimagerecht baut. So hat die zukünftige Schule ein doppeltes Dach, damit die Luft zirkulieren kann und die Klassenräume nicht aufgeheizt werden. Die Idee für das Projekt kam Physiklehrer Thomas Schmalschläger (64) angesichts der vielen Flüchtlinge, die 2015 in München ankamen. Den Leuten daheim helfen, nicht erst, wenn sie vor der Tür stehen, war sein Gedanke. Doch helfen ist gar nicht so einfach, musste die Projektgruppe erfahren, als die Schüler sich entschlossen hatten, das Gebäude wirklich zu bauen. Geklärt werden musste zunächst, wo die neue Schule stehen sollte.

Die Schüler schrieben die Botschaften verschiedener Länder an, blieben aber ohne Antwort. Unterstützung fanden sie durch den Nürnberger Verein Hawelti. Der konnte bereits mit Erfahrungen in Sachen Hilfe für Schulen in Äthiopien aufwarten. So hatte der Verein 2011 für eine Schule in Hawelti, einem armen Stadtteil von Axum (70 000 Einwohner) bereits ein Toilettenhäuschen gebaut. 2017 kamen eine Schulküche und ein Speisesaal für 500 Kinder hinzu. Zwei große Regenwasserzisternen versorgen die Schüler mit Trinkwasser.

Doch zurück nach Endayesus. Die Mittagspause ist vorbei und die Schüler sitzen wieder im Schatten der Bäume in ihren »Klassenzimmern« - jetzt steht Englisch auf dem Stundenplan. Wie notwendig ein Schulgebäude ist, erläutert Schuldirektor Alikedimos Abraha (42) von der Endayesus Grundschule: »Wenn in der Regenzeit der Regen kommt, fällt die Schule aus. Wenn die Kinder aufs Klo müssen, gehen sie in die Büsche. Wir haben keine Stühle und Bänke, der Unterricht findet am Boden statt. Wir sind sehr froh, wenn wir ein Schulgebäude haben.« Sechs Lehrer unterrichten hier 107 Grundschüler, die oft lange Wege gehen müssen. Eine der Schülerinnen unter den Bäumen ist Fiyer Migusse. Die Elfjährige hat einen Schulweg von einer halben Stunde. »Aber«, sagt sie, »ich gehe gerne zur Schule«.

Marcel Heuer sieht sich derweil zusammen mit einem Ingenieur die Baustelle an. »Eines der großen Probleme ist die Wasserversorgung«, sagt er. Zum Beispiel für das Anmischen des Betons. Mit den ersten Zehntausend Euro, die die Münchner Schüler an Spendengeldern gesammelt hatten, wurde die Bodenplatte betoniert und Baumaterial eingekauft. Daraus wiederum formten die Eltern der Schüler von Endayesus an die 6000 Ziegelsteine, die in der Sonne trockneten. Die hat man inzwischen zu provisorischen Klassenzimmern zusammengestellt, mit Ästen als Dach. Vorausgegangen war dieser ersten Bauaktion eine Besprechung mit dem Schulamt von Axum Land. Und die Eltern der Grundschüler im Dorf hatten in einer Versammlung darüber abgestimmt, ob sie das Projekt unterstützen wollten. Sie wollten.

Eines der Probleme bei der Realisierung waren steigende Kosten. Da die Grenze zum Nachbarland Eritrea jüngst geöffnet wurde, kam es zu einem Bauboom. Dadurch stiegen die Preise etwa pro Sack Zement oder für Metallstangen. Und nicht ganz einfach ist auch die Koordination der Bauarbeiten von Deutschland aus per Telefon. Um vor Ort nach dem Rechten zu sehen, nimmt sich Heuer bei seinem Arbeitgeber, der Bundesagentur für Arbeit, zwischendurch frei.

50 000 Euro wird das Schulgebäude in Endayesus kosten, die Spenden dafür sind inzwischen eingegangen. »Der Bau könnte in zwei Monaten fertig sein«, ist sich Vereinsvorsitzender Heuer sicher. Für Lehrer Schmalschläger ein großer Erfolg der Arbeit seiner Schüler. »Am Anfang hätte ich nicht gedacht, dass wir das wirklich realisieren können«, sagt er im Rückblick. Jetzt werden weiter Spenden gesammelt, für den nächsten Bauabschnitt: Dabei geht es um den Bau einer Toilette, um Stromerzeugung und ein weiteres kleineres Gebäude für eine Vorschule.

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