Mandat der Überforderung

Blauhelmeinsatz der Bundeswehr in Mali kann weder Frieden noch Fortschritt schaffen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

In Mali wohnen knapp 18,5 Millionen Menschen. Neun von zehn folgen einer muslimischen Religion oder Weltanschauung. Nicht einmal jeder zweite Bürger kann lesen und schreiben. Je fünf Ärzte kümmern sich laut Statistik um 100 000 Einwohner, Malaria, Tuberkulose und Cholera gehören zum Alltag wie Raub und die Unterdrückung von Frauen. Während die durchschnittlich 56 Jahre alt werden, sterben Männer statistisch gerechnet bereits im Alter von etwas über 53 Jahren. Die Geburtenrate ist vergleichsweise hoch, das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei etwas über 15 Jahren.

Malis wirtschaftliche Verhältnisse sind desolat, die politischen instabil. Seit 2012 in Mali ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist, kommt das Land nicht zur Ruhe. Kurzum: Dem einstigen Kolonialgebiet Frankreichs muss - wie vielen seiner Nachbarn in Afrika - dringend geholfen werden.

Die deutsche Regierung hat im September 2017 Leitlinien für ihre Afrikapolitik verabschiedet. Titel: »Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern«. Der Ansatz dazu sei ressortübergreifend, heißt es.

Im aktuellen Antrag der Bundesregierung für eine Verlängerung der Militäreinsätze in dem westafrikanischen Land kann man lesen, dass die Stabilisierung Malis »ein Schwerpunkt des deutschen Engagements in der Sahel-Region und ein wichtiges Ziel der Afrikapolitik« sei, denn: »Die Fragilität der Sahel-Region hat Auswirkungen über Afrika hinaus. Schwache staatliche Strukturen eröffnen Rückzugsräume für Terrorismus, begünstigen organisierte Kriminalität und Schleuseraktivitäten.«

Von ressortübergreifendem Ansatz ist nicht viel zu spüren. Seit 2013 sind Bundeswehrsoldaten in Mali stationiert. Im Rahmen einer Mission der Europäischen Union bilden sie in Mali Soldaten aus: Sie »sollen befähigt werden, die Souveränität, Sicherheit und Stabilität Malis eigenständig zu gewährleisten«, sagt das deutsche Verteidigungsministerium und hat schon seit einiger Zeit verfügt, dass auch Soldaten aus Nachbarstaaten, die wie Mali zur G5-Sahel gehören, gedrillt werden.

Bis zu 1100 deutsche Soldaten sind Teil der von der UNO geführten MINUSMA-Operation. Bis zu 15 000 Soldaten und Polizisten aus mehr als 50 Nationen sind an ihr beteiligt. Nicht nur hinter vorgehaltener Hand sagen Fachleute, dass die UNO und zahlreiche Truppensteller heillos überfordert sind mit einer derartigen militärischen Operation.

Aktiv kämpfen gegen islamistische Terroristen soll die Bundeswehr nicht - anders als beispielsweise die tausend Fremdenlegionäre, die Frankreich aus Sorge um sein Einflussgebiet und die Uranminen im Nachbarland Niger in einer eigenen Operation namens »Barkhane« einsetzt.

Insgesamt ist die Mali-Mission die wohl tödlichste, auf die sich die Vereinten Nationen bislang eingelassen haben: Fast 200 Blauhelme wurden bereits getötet, doch Mali und die Nachbarstaaten sind trotz der Opfer und des enormen militärischen Aufwandes weder sicherer noch friedlicher geworden. Laut Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung des Militärmandats ist die Situation in Zentralmali »nach wie vor fragil«. Dort sei die Situation weiter geprägt »von der Ausweitung ethnischer und sozialer Konflikte, terroristischen Angriffen und organisierter Kriminalität«. Aus Zentralmali heraus versuchten Terrorgruppierungen, »ihren Einflussbereich weiter nach Süden auszudehnen«. Tatsache ist: Mittlerweile kontrollieren Terrororganisationen wie Al Qaida oder der in Syrien und Irak geschlagene »Islamische Staat« verbunden mit anderen Islamisten wieder weite Landstriche Malis. Vor allem im wüstenhaften Norden, dort wo die Masse der UN-Truppen stationiert ist, hat die Regierung kaum noch Einfluss.

Jüngst besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals die deutschen Soldaten in ihrem Lager bei Gao. Sie lobte sie und bescheinigte den Uniformierten, dass ihre Mission »schwierig« und das Arbeitsumfeld »speziell« sei. Der Einsatz, so Merkel, fordere von den Soldaten erhebliches Anpassungsvermögen und erheblichen Anpassungswillen. Und ganz nebenbei von den Steuerbürgern für das kommende Jahr »einsatzbedingte Zusatzausgaben« allein für MINUSMA in Höhe von 313,9 Millionen Euro. Zum Vergleich: Seit 2013 wurden Mali über Vorhaben der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gerade einmal 446 Millionen Euro zugesagt.

Was bedeutet »schwierig«? Was meint Merkel mit »speziell«? Wie in Afghanistan, dem zweiten großen Auslandseinsatz-Staat der Bundeswehr, bürdet man Soldaten Aufgaben auf, die sie nicht erfüllen können. Nicht im militärischen Sinn. Die Bundeswehrsoldaten erfüllen ihre Führungs-, Beratungs- und Aufklärungsmissionen ohne fachlichen Tadel. Der Einsatz von Drohnen funktioniert, der Lufttransport ist inzwischen stabil. Ob die »temporär bereitgestellte Luftbetankungsfähigkeit für französische Kräfte« klappen würde, wenn..., ist nicht ganz so gewiss.

Mit der Unterzeichnung eines innerstaatlichen Friedensabkommens durch die Konfliktparteien im Juni 2015 war ein erster wichtiger Schritt zur Stabilisierung des Landes getan. MINUSMA soll Waffenruhevereinbarungen, vertrauensbildende Maßnahmen und einen politischen Dialog unterstützen. Wäre sie ehrlich, hätte Merkel den Soldaten gesagt: Die Politik überfordert euch und tut selber zu wenig, um in Mali eine Aussöhnung verschiedenster politischer Interessengruppen zu ermöglichen. Doch die Kanzlerin hat beim Umgehen von Tatsachen noch immer die Mehrheit des Parlaments hinter sich, das am Donnerstag einer Verlängerung der Mali-Mission sowie der weiteren Teilnahme an der Anti-Piraten-Operation »Atalanta« vor der Küste Somalias zugestimmt hat.

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