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Viele echte Stützen - und eine heimliche
Die deutschen Fußballerinnen setzen für die WM auf ein festes Gerüst - und eine mentale Hilfe, die das Rampenlicht scheut: Birgit Prinz
Kürzlich auf dem Sportplatz des ASV Grassau: Die Regenwolken hingen tief, unentwegt tröpfelte es, doch eine Person in kurzer schwarzer Hose und grauem Trainingsshirt ließ sich nicht davon abhalten, sich immer wieder einen Ball zu schnappen, mit leicht geduckter Körperhaltung loszudribbeln und dann die Torhüterinnen des deutschen Fußballnationalteams unter Dauerfeuer zu nehmen. Diejenige, die unter Aufsicht des hünenhaften Torwarttrainers Michael Fuchs beim Abschlusstraining die Torjägerin gab, war Birgit Prinz. Bei einer Umfrage auf den Straßen des Landes wäre die zweifache Welt- und fünffache Europameisterin wohl noch immer Deutschlands bekannteste Fußballerin, auch wenn sie längst nicht mehr spielt.
Die 41-Jährige steigt jedoch als Teampsychologin mit ins Charterflugzeug, das den DFB-Tross an diesem Montag vom Frankfurter Flughafen nach Rennes bringen wird. Die Ikone Prinz hat im Vorlauf der Frauen-WM (7. Juni bis 7. Juli) noch viel mehr als früher das Licht der Öffentlichkeit gescheut. Keine Interviews, keine Aussagen. Nicht mal in den vielen Beiträgen auf den Social-Media-Kanälen der deutschen Frauen taucht die dreimalige Weltfußballerin auf.
Die gebürtige Frankfurterin hat die Aufgabe, vor dem ersten Gruppenspiel gegen China (8. Juni, 15 Uhr) hinter den Kulissen aufbauende Wirkung zu entfalten. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bediente sich eines Tricks, um ihre ehemaligen Mitstreiterin aus aktiven Zeiten den aktuellen Spielerinnen näher zu bringen: Dazu wurde eine Art Speed-Dating veranstaltet, bei der Prinz wirklich mittendrin war. »Die Spielerinnen haben gar nicht bemerkt, dass das eigentlich für Birgit war - das hat direkt das Eis gebrochen.« Die Bundestrainerin schätzt Prinz’ Riesenmehrwert. Denn: »Wer selbst Welt- und Europameisterschaften gespielt hat, kann helfen.«
Der selbstironische Werbespot der deutschen Fußballerinnen, in dem sie einleitend behaupten, sie würden für eine Nation spielen, »die unsere Namen nicht kennt«, ehe sie den frechen Wir-haben-Pferdeschwänze-Satz aufsagen, vermittelt zwar ein großes Selbstbewusstsein. Doch das gibt es in dieser Form noch nicht. Das unerfahrene Ensemble - 15 Spielerinnen bestreiten in Frankreich ihr erstes WM-Turnier - wird Stützen auf dem Feld brauchen. »Wir brauchen Typen. Du brauchst sie auf dem Platz, wenn es eng wird, um das Spiel zu gewinnen«, sagt Voss-Tecklenburg. Ihr Gerüst dafür steht: Im Tor Almuth Schult, die mit ihrer Selbstüberzeugung und Erfahrung gesetzt ist. In der Zentrale soll das Gespann aus Melanie Leupolz und Sara Däbritz die Orientierung geben.
Die beiden Mittelfeldspielerinnen des FC Bayern München - Däbritz wechselt im Sommer zu Paris St. Germain - galten bei der WM in Kanada vor vier Jahren noch als aufstrebende Talente. Genauso wie die Kapitänin Alexandra Popp, die allein mit ihrer Einsatzfreude eine Vorbildwirkung ausstrahlt. Ihre Vertreterin Svenja Huth ist ebenso in die Kategorie der Führungsspielerinnen aufgestiegen.
Und doch könnte letztlich alles an einer Spielerin hängen, die fußballerisch vor allen anderen steht: Dzsenifer Marozsan. Von einer Lungenembolie vergangenen Sommer genesen, hat der Star von Olympique Lyon in der Persönlichkeitsentwicklung einen großen Schritt gemacht. Die Nummer zehn ist der Fixpunkt.
Um bei dieser ausgeglichenen Frauen-WM weit zu kommen, muss es vor allem in den Köpfen stimmen. »Du braucht unterschiedliche Charaktere. Du brauchst eine, die auch mal laut wird.« Oder eine, die den Kopf runter nimmt, loszieht und ein Tor schießt. Nur Birgit Prinz, die in 214 Länderspielen sagenhafte 128 Treffer erzielte, kann das in diesem Jahr nicht mehr sein.
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