Zu weit weg von den Alltagsproblemen

Die Bewegungslinke will mit Druck von unten die LINKE erneuern

  • Dennis Pesch, Düsseldorf
  • Lesedauer: 4 Min.

Fünf bewegungserfahrene Frauen sitzen zu Beginn des zweitägigen Ratschlags der Bewegungslinken auf dem Podium in der Aula des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Düsseldorf. Alle bringen unterschiedliche Erfahrungen mit: Katharina Dahme, die das Podium einleitet, ist beispielsweise Aufsichtsratsvorsitzende beim linken Fußballverein SV Babelsberg 03. 120 Menschen aus verschiedenen Teilen der Bundesrepublik sitzen den fünf Frauen gegenüber. Einige sind noch Mitglied bei der Strömung der Sozialistischen Linken (SL), einem der mitgliederstärksten Vereinigungen in der Linkspartei. Die Bewegungslinke gründete sich im April 2018 innerhalb der LINKEN, einerseits um sich für eine verbindende Klassenpolitik zu organisieren, andererseits in Abgrenzung zu den migrationspolitischen Positionen von Sahra Wagenknecht, die den Vorstellungen einer verbindenden Klassenpolitik unvereinbar gegenüberstehen.

Bevor Dahme die Diskussion eröffnet, stellt sie einige Fragen an die Teilnehmer: »Wer ist Mitglied in einer Gewerkschaft?« Fast alle heben die Hand. Genauso bei der Frage, wer Mitglied in der Linkspartei ist. »Wer war schon mal an einer gewerkschaftlichen Auseinandersetzung beteiligt?« Schon gehen nur noch die Hälfte der Arme nach oben. Fast alle hier sind in linken Bewegungen aktiv, zum Beispiel auch in der Seebrücke oder Klimabewegung. Danach beginnt Dahme inhaltlich und konstatiert, dass die Bindung an die Linkspartei zunehmend verloren gehe, weil sie sich zu weit weg von den alltäglichen Problemen der Menschen befinde.

Dann gibt Dahme das Mikro der Reihe nach an die anderen Rednerinnen ab. Neben ihr sitzen Violetta Bock, eine Stadtverordnete im Kasseler Kommunalparlament, Katharina Stierl, Krankenpflegerin, Studentin und Gewerkschafterin bei ver.di, Sarah Nagel, Sprecherin der Linkspartei in Berlin-Neukölln und aktiv im Protest gegen steigende Mieten im Ortsteil Gropiusstadt und Rhonda Koch, Geschäftsführerin des LINKE-Studierendenverbands SDS. Einer der Aufhänger für die Debatte ist auch das Bündnis unteilbar, dass im Oktober 2018 240 000 Menschen nach Berlin mobilisiert hatte.

Rhonda Koch plädiert bei der Diskussion dafür, Klasse und Geschlecht zusammen zu denken: »Ich bin nicht morgens Arbeiterin und abends Mutter, sondern permanent beides«, sagt sie und schließt damit an das an, was vor ihr Katharina Stierl als Beispiel für die heutige Arbeiterklasse sieht. Es ist durchaus als Kritik an der Analyse zu verstehen, die in Teilen der Linkspartei vorherrscht: Mit zu viel Feminismus, offenen Grenzen und anderen progressiven Standpunkten habe man die Arbeiterklasse an die Rechten verloren. Stierl sagt: »Arbeiterklasse ist nicht mehr nur der Mann im Blaumann. Derzeit überlegt die Linke oft nur wie sie aus Kolleg*innen, Wähler*innen machen können, aber nicht wie sie aus Kolleg*innen, Genoss*innen machen.«

»Wir kommen nicht drum herum, auch in den Parlamenten zu sitzen, aber die Frage ist, was du dort kommunizierst«, sagt SDS-Geschäftsführerin Koch gegenüber »nd«. Geht es nach ihr, soll die Linkspartei nicht länger nur Wahlversprechen abgeben. Sie will, dass die Partei vor Ort, etwa beim Aufbau einer lokalen Mieterinitiative, wo sich Menschen selbst organisieren, Druck von unten aufbaut und so politische Macht herstellt. Eine große Herausforderung sieht Koch darin, Multiplikator*innen für die Bewegungslinke aufzubauen. »Wir wollen das Wissen von 120 Leuten hier vor Ort in einem Jahr verdoppeln.« Inhaltlich bezieht sie sich dabei etwa auf die Autorin und Gewerkschafterin Jane McAlevey, die in den USA nach dem Konzept der Basisorganisierung für die demokratische Erneuerung von Gewerkschaften kämpft.

Koch will raus aus der ritualisierten Parteiarbeit. Dabei steht die Bewegungslinke Regierungsbeteiligungen grundsätzlich kritisch gegenüber, wenn sie auch parlamentarische Mehrheiten nicht grundsätzlich ablehnt, etwa wenn es darum geht, einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr durchsetzen zu können. An die ritualisierte Parteiarbeit schließt sich für die Bewegungslinke auch die Frage an, ob sie eine Strömung innerhalb der Partei wird. »Das ist derzeit eine offene Debatte, die auch beim Ratschlag diskutiert wird«, sagt Koch. Eine Entscheidung darüber will die Bewegungslinke vermutlich im Dezember treffen: »Meine Erfahrung zeigt mir, dass wenn wir die richtigen Projekte aus der Basis voranbringen und damit erfolgreich sind, wir keine papiersicheren Delegierten brauchen, weil ich weiß, dass die Partei die Erfahrung aus der politischen Praxis überzeugt hat«, ist Koch sich sicher.

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