Steinmeier lebt!

Andreas Koristka über die kleinen Auszeiten des Bundespräsidenten - und seinen größten Coup

Niemand kann rund um die Uhr schuften. Deshalb war es schon immer so, dass sich Bundespräsidenten eine kleine Auszeit genehmigten und für einige Monate bis Jahre abtauchten. Schon Heinrich Lübke ließ gern mal Seele und Hirn baumeln, Christian Wulff machte eine Weltreise auf dem Bobbycar eines Gönners und Joachim Gauck nahm sich gern mal die Freiheit, nichts weiter zu tun, als in größtmöglicher Verantwortung seine unübersichtlichen Eheverhältnisse zu verkomplizieren. Aber von Frank-Walter Steinmeier hört man nun schon beunruhigend lange nichts mehr...

Schon sprießen die Gerüchte im politischen Berlin: Kuriert Deutschlands oberster Grüßaugust eine Sehnenscheidenentzündung aus, die er sich beim vielen Händeschütteln zugezogen hat? Hat der angesehene Apparatschik seine Frau verlassen und ist mit einem Aktenordner und seiner Büroklammersammlung durchgebrannt? Ist er gar gestorben und keiner - nicht mal er selbst - hat es gemerkt? Alles falsch, denn Steinmeier ist lebendig und unternehmungslustig wie eh und je.

Insider widersprechen sogar äußerst vehement der oft geäußerten Vermutung, dass der Bundespräsident überhaupt nichts mehr machen würde. Ganz im Gegenteil: Kolportiert wird, dass Steinmeier sich vormittags fit hält, indem er oft stundenlang die schwere Gartenliege durch den Park von Bellevue zieht - immer auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen. Anschließend macht er ausgedehnte Toilettengänge und dann am Nachmittag schaut er sich oft stundenlang Beautytutorials auf Youtube an, die erklären, wie man sich die Augenbrauen zupfen muss, um wie ein Uhu auszusehen.

Steinmeier ist ein Perfektionist. Und ein ausgemachter Workaholic ist er auch. Dabei hätte doch wirklich jede und jeder dafür Verständnis, wenn es der amtierende Bundespräsident ein bisschen ruhiger angehen ließe. Ist ihm doch vor gar nicht allzu langer Zeit etwas gelungen, was vor ihm nicht mal so bedeutenden Staatsmännern wie Otto von Bismarck, Adolf Hitler oder Gerhard Schröder gelang: die endgültige Vernichtung der SPD. Es ist Steinmeiers größter Coup, und er ist darauf zurecht stolz.

Ohne den Bundespräsidenten hätte es die Neuauflage der Großen Koalition wahrscheinlich nie gegeben und Andrea Nahles wäre genau in diesem Moment mit ihrer SPD schon auf dem Weg zur absoluten Mehrheit, weil sich die von der FDP tolerierte schwarz-grüne Minderheitsregierung heillos an der Frage zerstritten hätte, ob auf bundesdeutschen Autobahnen ein allgemeines Kiffverbot zu gelten habe.

Dieses Schreckensszenario verhindert zu haben, darf Steinmeier für sich geltend machen wie den Netflix-Gutschein, den er zum Geburtstag von seiner Gattin bekam und der seither seine tristen Tage etwas unterhaltsamer als bisher macht. Aber auch mit seinem großen persönlichen Thema, das ihm wirklich, aber jetzt echt ehrlich sehr, sehr doll - großes Ex-Kanzlerkandidatenehrenwort! - am Herzen liegt, hat er Wunderbares geschaffen. Denn Steinmeier hat den »Mut« zurück in unsere Gesellschaft gebracht. Ganz allein mit seinen Reden! Das allein war schon sehr mutig.

Steinmeiers Erfolg auf dem Mut-Gebiet ist überwältigend: Erst gestern traute sich die 11-jährige Annalena Graumanns vom Dreimeterbrett im Freibad Goßdorf zu springen. Sie machte sogar einen fast sauberen Köpfer! Gut, der 13-jährige Lukas Meier hatte sie ein bisschen geschubst. Aber immerhin! Der Mut in unserer Gesellschaft ist dank Steinmeier wieder allgegenwärtig. Das ist doch mal was! Und wenn man den Bundespräsidenten demnächst zufällig bei einem wichtigen offiziellen Anlass wie beispielsweise der feierlichen Eröffnung eines Insektenhotels antrifft, dann sollte man mutig sein! Man sollte den Mann ansprechen und ihm danken. Für alles! Und dann sollte man ihm sagen, dass er unbedingt mal eine Pause machen soll. Denn wirklich niemand kann rund um die Uhr schuften.

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