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  • AfD-Vorsitz Kulturausschuss

Die Verteidigung der Kulturstadt

In Weimar wird über einen AfD-Vorsitz im Kulturausschuss gestritten

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Die AfD-Fraktionschefin im Weimarer Stadtrat, Heike Gnatowski, ist Mitglied der Goethegesellschaft und kulturell nicht nur gebildet, sondern auch aktiv. Das zumindest versicherte sie, als Ende Juni der parteilose Weimarer Oberbürgermeister Peter Kleine dafür plädiert hatte, einen Vorsitz der AfD im Kulturausschuss der Stadt zu verhindern. Die gebildete Frau Gnatowski wird bei der Demonstration ihrer Kulturbeflissenheit sicher nicht an folgende von Goethe und Schiller verfassten Worte gedacht haben: »Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens; / Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus!«

Geschrieben wurde dieser Satz 1797. Es war die Zeit, als es keinen deutschen Nationalstaat gab, das Deutschsein über Sprache und Kultur definiert wurde, nicht aber über Religion, Politik oder Blut. »Dieser Mangel an äußerlicher Einheit wurde aber nicht als Schwäche, sondern als Stärke aufgefasst«, schreibt der in Görlitz geborene Publizist Michael Bittner. Gerade die innere Vielfalt, die Offenheit für Einflüsse aus aller Welt und die übernationale Humanität hätten als Stärken der Deutschen gegolten.

Der Kontrast zu dem, was Gnatowski, Gauland und Höcke unter Deutschsein und deutscher Kultur versehen, könnte größer kaum sein. Bei den Rechtspopulisten regiert das Ressentiment gegen alles von außen kommende, teils offener Rassismus. Erinnert sei nur an Alexander Gaulands Wunsch, die ehemalige Staatsministerin Aydan Özoguz in Anatolien »entsorgen« zu wollen. Oder an sein Zitat, wonach der Nationalsozialismus in 1000 Jahren deutscher Geschichte nur ein »Vogelschiss« gewesen sei. Oder an eine Rede des Landesvorsizenden der AfD in Thüringen, in der Björn Höcke 2017 von »einer dämlichen Bewältigungspolitik« gesprochen und eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« gefordert hatte.

Die Aufregung war damals groß. Und sie war es auch in Weimar, als sich Mitte Juni abzeichnete, dass ein Politiker der AfD Vorsitzender des Kulturausschusses werden könnte. Ausgerechnet in Weimar - jener Stadt, die nicht nur für Goethe und Schiller, sondern auch mit dem Bauhaus, Herder, Liszt oder der ersten deutschen parlamentarischen Republik verbunden ist. Aber eben auch mit dem Konzentrationslager Buchenwald unweit von Weimar.

Was war passiert? Laut Thüringer Kommunalordnung hat jede der aktuell sechs Fraktionen des Weimarer Stadtrates das Recht auf die Leitung eines der sechs Ausschüsse. Die stärkste Fraktion kommt als erstes an die Reihe, die schwächste zuletzt. Die ist zur Zeit mit fünf Abgeordneten die der AfD. Ihr blieb der Kulturausschuss, weil die anderen Fraktionen ihr Interesse für andere Ausschüsse anmeldeten. Die Linksfraktion, die in vorherigen Legislaturperioden den Kulturausschuss geleitet hatte, entschied sich beispielsweise für den Sozialausschuss, weil sie hier ihre Kernkompetenz sieht, die SPD für den Finanzausschuss.

Als die Kulturschaffenden in Weimar merkten, dass sie es bald mit einem AfD-Menschen im Kulturausschuss zu tun haben könnten, gab es einen Aufschrei. Zum Beispiel von Volkhard Knigge, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er sieht sich potenziell mit einem Vertreter der AfD im Stiftungsrat konfrontiert. Gegenüber dem Deutschlandfunk wies er auf das Wirken von völkischen Kulturpolitikern vor 1933 hin. Diese hätten Spielpläne, Bibliotheken und Museen »gesäubert« und die Machtübernahme der völkischen und nationalsozialistischen Rechten erprobt. Knigge sieht Ähnlichkeiten zum kulturpolitischen Handeln der AfD. Aus diesem Grund hatte Knigge Vertretern der Partei bereits mehrmals ein Hausverbot bei offiziellen Gedenktagen erteilt.

Auch über Weimar hinaus sorgt ein möglicher AfD-Vorsitz im Kulturausschuss der Stadt für Schlagzeilen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte, dass ausgerechnet diese Partei »in der Stadt der Erinnerung an die deutsche Geschichte mit all ihren unterschiedlichen Facetten« die Kultur repräsentieren solle, sei »nicht vorstellbar«. Im Deutschen Bundestag habe er sich dafür eingesetzt, dass die Fraktionen gemeinsam eine solche Situation vermeiden.

Das haben sie in Weimar auch. Am 21. Juni veröffentlichte die Linksfraktion im Weimarer Stadtrat per Facebook eine Erklärung, wonach sich die Vertreter der Fraktionen von Grüne, Bürgerbündnis Weimarwerk, CDU, SPD und Linkspartei darauf verständigt haben, einen Ausschussvorsitz der AfD zu verhindern. Auch OB Peter Kleine unterstützt dieses Ansinnen. Auf der konstituierenden Sitzung des Stadtrates am Mittwochabend ging er in seiner Begrüßungsrede auf die Affäre zur Besetzung des Kulturausschusses ein: »Die Art und Weise, wie die Fraktionen sich in gewisser Weise selbst ein Bein gestellt haben, war unglücklich.« Sie habe für Weimar Schaden verursacht, der auch durch eine Notbremsung nicht ganz rückgängig gemacht werden könne.

OB Kleine verpflichtete die neuen Stadtratsmitglieder am Mittwoch, sich angesichts des kulturellen und historischen Vermächtnisses der Stadt angemessen zu verhalten. Er berief sich sogar auf den Schwur von Buchenwald »Nie wieder Krieg, nie wieder Leid, nie wieder Faschismus«. Diesem sei Weimar verpflichtet.

Nach der Besetzung der Ausschüsse am Mittwoch werden von deren Mitgliedern nach der Sommerpause nun die Vorsitzenden gewählt. Formal besteht also noch die Möglichkeit, dass die AfD den Vorsitz übernehmen könnte. Aber das scheint angesichts der Aussagen der anderen Parteien mehr als unwahrscheinlich. Das Volksfrontbündnis der neuen Art scheint zu halten.

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