Wieso das Bildungs- und Teilhabepaket »völlig gefloppt« ist

Paritätischer Wohlfahrtsverband fordert eine Kindergrundsicherung. Das Arbeitsministerium prüft diese Idee

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn man der Bundesregierung glaubt, war der Donnerstag ein guter Tag im Kampf gegen Kinderarmut. Denn zum 1. August ist das neue Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) in Kraft getreten, das »konkret Kindern in Familien mit niedrigen Einkommen« helfen soll, so Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Nur wenige Hunderte Meter vom Bundestag entfernt, bekommt man am selben Tag eine ganz andere Geschichte zu hören. »Arme Kinder werden ärmer und immer weiter abgehängt«, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Er stellte die Ergebnisse einer Untersuchung zu ungleichen Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen in armen, durchschnittlichen und wohlhabenden Familien vor. Grundlage der Erhebung waren Daten der repräsentativen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

Die Ergebnisse sind drastisch: Die ärmsten zehn Prozent aller Haushalte in Deutschland mit Kindern hatten 2013 im Schnitt nur 1550 Euro zur Verfügung, die durchschnittlichen Haushalte 3762 Euro, und die reichsten zehn Prozent 8642 Euro. »Eine durchschnittliche Familie hat damit mehr als doppelt so viel Geld zu Verfügung wie eine arme«, sagte Schneider.

Im Zehnjahresvergleich haben sich die Unterschiede seit 2003 bei den verfügbaren Mitteln von Familien mit Kindern, erheblich vergrößert. Gutgestellte und durchschnittliche Haushalte legten zu: Um 0,8 sowie um 1,6 Prozentpunkte. Doch während diese Familien augenscheinlich von der florierenden Wirtschaft profitierten, zeigt sich bei den ärmsten zehn Prozent aller Haushalte mit Kindern dieser Effekt nicht. Im Gegenteil: Sie hatten 2013 sogar 3,2 Prozentpunkte weniger Haushaltsmittel zur Verfügung als 2003.

Dieses Minus an verfügbaren Mitteln, bekommen direkt die Kinder zu spüren. Die Auswertung des Wohlfahrtsverbandes zeigt, dass Eltern in den ärmsten Familien 2013 monatlich nur 102 Euro für Teilhabeleistungen wie Sportverein, Museumsbesuche Zeitschriften, oder Kindergeburtstage ausgegeben haben. Das waren im Schnitt 17 Prozent weniger als noch 2003. Allerdings gaben auch durchschnittlich verdienende Familien etwas weniger aus: minus vier Prozent. Dennoch fallen die 260 Euro für Musikunterricht und Co. immer noch mehr als doppelt so hoch aus, wie die Mittel Geringverdienenden. Die Vermögenden steigerten ihre Ausgaben für die Teilhabe ihrer Kinder um satte 18 Prozent auf 408 Euro.

Ulrich Schneider betonte: Gerade bei der sozialen Teilhabe seien die Ausgaben in den letzten Jahren am meisten gekürzt worden. »Bei lebensnotwenigen Dingen wie Kleidung oder Hygiene lässt sich nicht sparen. Was dann wegfällt, sind Ausgaben für den Sportverein oder den Ausflug.« Dabei sei Teilhabe der Schlüssel, so Schneider. »Wir beginnen Armut nicht erst zu messen, wenn Menschen unter Brücken schlafen oder Flaschen sammeln müssen. Sondern, wenn Kinder nicht mehr bei normalen Aktivitäten der anderen Kinder mitmachen können.« Studien untermauern die Wichtigkeit von Teilhabe in Bezug auf Gesundheit, und Bildungserfolg.

Das neue Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung soll genau da ansetzen. Es übernimmt nun beispielsweise auf Antrag vollständig die Kosten für das Schulessen oder Ausflüge mit Kita oder Schule und zahlt nun 15 statt 10 Euro für Sportverein oder Musikunterricht. Zudem wurde der Antrag auf diese Leistungen vereinfach. Ulrich Schneider hält das BuT dennoch für »völlig gefloppt«. »Es ändert nichts daran, dass das in vielen Fällen Zuschussleistungen für die Eltern sind. 15 Euro reichen vielleicht für die Mitgliedschaft in einem Fußballverein, aber nicht für Schuhe und Trikot.« Zudem würden nur sehr wenige überhaupt Leistungen aus dem Paket beantragen, weil es zu bürokratisch sei. Seine Forderung: Eine einommens- und bedarfsorientierte Kindergrundsicherung. Als Teil des Bündnisses gegen Kinderarmut spricht sich der Paritätische dafür aus, dass die Höhe bei 628 Euro liegen soll.

Auch einige Parteien haben dazu Konzepte vorgelegt. Voran ging die LINKE mit ihrem Modell einer Kindergrundsicherung, die Grünen legten vor einiger Zeit ebenfalls nach. Und auch in der SPD ist Bewegung. Die ehemalige Parteivorsitzende Andrea Nahles kündigte im Januar ein eigenes SPD-Modell an. Auch in der Kommunikation zum BuT war es seitens der SPD teilweise als erster Schritt hin zu einer Kindergrundsicherung bezeichnet worden.

Bislang ist nichts zu Details bekannt. Auf Anfrage erklärte das Bundesarbeitsministerium: »Eine mögliche Kindergrundsicherung berührt nicht nur das Sozialrecht, sondern auch das Steuer- und gegebenenfalls das Zivilrecht. Dieser Ansatz ist mit zahlreichen bisher ungelösten Fragestellungen verbunden. Einige Varianten werden derzeit im Rahmen des ›Zukunftsdialogs‹, an dem sich auch der Paritätische Gesamtverband beteiligt, geprüft.« Vor Abschluss dieses Prozesses sei keine Bewertung möglich. In der derzeitigen Großen Koalition ist dies aber ohnehin aussichtslos. Die CDU ist strikt dagegen.

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