Reform oder Radikalität?

Beim Sommerkongress von »Fridays for Future« sind realpolitische Reformen wichtiger als radikaler Protest

  • Sebastian Weiermann, Dortmund
  • Lesedauer: 4 Min.

Samstagmorgen, halb neun, im Dortmunder Revierpark Wischlingen. Über 1700 junge Menschen der »Fridays for Future«-Bewegung haben hier schon seit Mittwoch ihre Zelte aufgeschlagen. Sie sind zu ihrem ersten Sommerkongress zusammengekommen. Wer ein bisschen Erfahrung mit politischen Camps und Kongressen hat, der wird beim Gang über das Gelände erst einmal überrascht. So früh am Morgen sieht man üblicherweise die Überreste des Vorabends. Bänke sind umgeben von Bierflaschen und Kippenresten. Menschen, die schon wach sind, sieht man die zu kurze Nacht an.

Bei »Fridays for Future« ist das anders. Die Kongressteilnehmer wirken frisch, der Starkregen vom Vorabend hat ihnen offensichtlich nicht zugesetzt. Und der Revierpark ist sauber. Müll? Flaschen? Kippenstummel? So etwas ist nirgendwo zu sehen. Wer das Vorurteil hat, den Kids ginge es doch nur darum, Party zu machen, der wird enttäuscht.

Nach dem Frühstück, das die meisten Kongressteilnehmer auf mitgebrachtem Geschirr einnehmen, bewegen sich die Menschen in zwei nahe gelegene Schulen zu Workshops. Oder sie gehen in die abgetaute Eishalle, die Teil des Revierparks ist. Dort finden die großen Podiumsdiskussionen statt.

Am Samstagmorgen geht es in der Eishalle um die CO2-Steuer. In der Ankündigung wird gefragt, ob eine solche Steuer Sinn hat und ob sie sozial gerecht umgesetzt werden kann. Darüber diskutiert Christoph M. Schmidt vom Essener RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, der gleichzeitig Vorsitzender der sogenannten Wirtschaftsweisen ist, also des Expertengremiums, das regelmäßig die deutsche Wirtschaft begutachtet. Neben ihm auf dem Podium sitzen Pia Jorks vom Verein »Klimadelegation«, der an UN-Konferenzen teilnimmt, sowie Carla Reemtsma von »Fridays for Future« und Christoph Schmitz von der Gewerkschaft ver.di.

Der Gewerkschafter und der wirtschaftsnahe Professor spielen sich auf dem Podium die Bälle zu, ergänzen sich gegenseitig. Natürlich sind beide für eine CO2-Bepreisung. Diese solle aber niedrig anfangen. Der ver.di-Mann warnt, »radikale Forderungen« könnten Angst machen. Besser sei es, mit 35 bis 40 Euro pro Tonne in die CO2-Steuer einzusteigen. Der Wirtschaftswissenschaftler ergänzt, man könne die Steuer ja schrittweise erhöhen. Wenn sie zu hoch starten würde, spiele man den Falschen in die Hände. Er warnt davor, dass die AfD von einer hohen Bepreisung profitieren könne. Die »Fridays for Future«-Forderung, 180 Euro pro Tonne CO2 zu verlangen, halten beide für zu hoch. Schmitz vergleicht die Debatte um die Steuer sogar mit Tarifverhandlungen. Da treffe man sich am Ende auch in der Mitte. Wirtschaftsprofessor Schmidt findet es wichtig zu betonen, dass man keine unrealistischen Forderungen aufstellt. Mit dem Kohleausstieg sei Deutschland auf einem guten Weg, andere Länder müssten dazu gebracht werden, auch ihre Klimaziele einzuhalten.

Den Vertreterinnen der »Klimadelegation«, einer Gruppe junger Klimaaktivisten, und von »Fridays for Future« bleibt auf dem Podium die Rolle der Mahnerinnen, die immer wieder darauf verweisen, dass die deutsche Klimapolitik deutlich schlechter als ihr Ruf ist.

Nach dem Ende der Debatte bildet sich eine große Traube um den »Wirtschaftsweisen«, die jungen Kongressteilnehmer wollen den wichtigen Wissenschaftler von ihren Zielen überzeugen. Schmidt nimmt sich Zeit und diskutiert geduldig.

Während die Debatte um den Preis für C02 gut 200 Menschen in die Eishalle gelockt hat, wird eine Stunde später fast im kleinen Kreis diskutiert. Nur rund 70 Menschen wollen über soziale Bewegungen debattieren, wie sie funktionieren und wie Protest bei politischen Entscheidungsträgern ankommt.

Tadzio Müller, bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitender Veteran der Klimabewegung, beginnt mit einem Lob für »Fridays for Future«. Die Bewegung habe ihm die Hoffnung gegeben, dass der Klimawandel noch gestoppt werden könnte. Der breite Protest sei etwas ganz anderes, als bei »Ende Gelände« mit ein paar tausend Menschen in eine Kohlegrube zu gehen. Die Schülerbewegung habe eine enorme Breite.

Der Protestforscher Simon Teune ergänzt, ein wenig nüchterner als Tadzio Müller, die Stärke von »Fridays for Future« seien die Ortsgruppen, hier solle auch weiter angesetzt werden. Lokal könne für Veränderungen gekämpft werden, die auch bundesweit Auswirkungen hätten.

Mai Ruf, die politische Gruppen und Aktivisten coacht, sieht kritisch, dass bei »Fridays for Future« viele Aktive nach individuellen Wegen aus der Klimakrise suchen. Es fehle an einer gesellschaftlichen und globalen Strategie, um mit dem Klimawandel umzugehen. Wie um diese Kritik zu bestätigen, erzählt ein Schüler davon, wie gut man bei dem Kongress ein klimafreundliches Leben trainiere. Keine Plastikflaschen und Pappteller zu benutzen sei sehr wichtig.

Die beiden Podien beim »Fridays for Future«-Kongress geben einen guten Einblick in die Jugendbewegung. Sie ist anders als die meisten sozialen Bewegungen in der Geschichte. Den Klimawandel aufhalten, das ist ein riesiges und schwieriges Ziel.

Um das zu erreichen, setzen die jungen Aktivisten auf Selbstoptimierung, Appelle an die Politik und die Kraft der Wissenschaft. Wenn wichtige Personen wie der »Wirtschaftsweise« Christoph Schmidt ihnen zuhören, dann sind viele Aktive schon froh. Wenn klimafreundliche Reformen stattfinden, haben sie ihr Ziel erreicht. Die Politik könnte es mit »Fridays for Future« leicht haben. Ein Systemwechsel ist nicht das Ziel der Schüler.

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