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Vergleichen oder Gleichheitszeichen

Velten Schäfer inspiziert den Geschichtswahlkampf im Osten

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Historische Vergleiche in der Politik sind immer problematisch. Denn hier bedeutet »Vergleich« etwas anderes als in allen anderen Bereichen des Lebens und Forschens. Üblicherweise geht es beim Vergleichen darum, Unterschiede zu erkennen und daraus Folgerungen zu ziehen. Selbst der sprichwörtlich verbotene Vergleich von Äpfeln und Birnen oder Weizen und Dinkel hat ja seinen Sinn, wenn man sich denn für die Eigenschaften von Kernobstgewächsen oder Getreidesorten interessiert.

Der »historische« Vergleich aber will stets Gleichheitszeichen setzen - um anderen eine böse oder sich selbst eine gute geschichtliche Tradition in den Rucksack zu stecken. Nur in dieser Bedeutungsnische ergibt ja die Feststellung einen Sinn, man könne nicht Faschismus und Kommunismus oder die USA und Liechtenstein vergleichen - oder die BRD von heute mit der DDR von 1989.

Letzterer Vergleich sorgt nun für gut kalkulierte Aufregung in den ostdeutschen Landtagswahlkämpfen. Denn nicht nur der frühere Inlandsgeheimdienstchef Hans-Georg Maaßen bedient die bei aller Kritik am Bestehenden doch vollkommen absurde Rede von der »DDR 2.0«, sondern auch die Partei, von deren Aufstieg er sich vermutlich einmal den Innenministersessel verspricht: »Vollende die Wende«, »Wir sind das Volk«, Ordnerleibchen, auf denen »Dissidenten« steht: Planvoll bemüht die AfD jenen »Vergleich«, um die Art von Widerspruch zu provozieren, die ihr am Dienstag der Bundespräsident hat zukommen lassen.

Darüber können sich die Rechtsradikalen freuen. Denn die Intervention gibt ihnen die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass zwar offene DDR-Grenzen, aber nicht unbedingt eine »offene Gesellschaft« zu den großen Forderungen des ostdeutschen Herbstes vor 30 Jahren zählten: Es bewegen sich heute ja tatsächlich etliche, teils gar einstmals prominente »Bürgerrechtler« im Umfeld der AfD. Die historische Bewegung gegen etwas war viel zu heterogen, als dass sich nun welche Partei auch immer mit ihr gleichsetzen könnte.

Noch geschickter aber macht sich ein anderer brandenburgischer AfD-Slogan das chronisch hinkende Wesen des historischen Vergleichs zunutze - der Griff nach dem Willy-Brandt-Spruch »Mehr Demokratie wagen«. Denn natürlich lässt sich sagen, dass dieser Satz aus der ersten Regierungserklärung des für historische Reue bekannten Friedensnobelpreisträgers der Rechten nicht zukommt. Doch verleitete diese Usurpation die SPD zu einer entlarvenden Reaktion. Wer nämlich über ihren Gegen-Hashtag »Wir sind Willy« auch nur zehn Sekunden nachdenkt, muss diese historische Gleichsetzung ebenfalls zurückweisen: Die SPD von heute ist ja alles andere als »Willy«. Sie ist noch immer ziemlich Gerhard, Hans, Frank-Walter - und allenfalls vielleicht ein bisschen Manuela und Franziska.

Ein längerfristig besserer sozialdemokratischer Konter wäre es da, vom wütenden Anspruch auf das symbolische Gleichheitszeichen zu einem wirklichen Vergleich überzugehen. Also dazu, die SPD Brandts im Geiste neben die heutige zu halten, die Unterschiede festzustellen und aus diesen endlich Folgerungen zu ziehen.

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