Riskanter als gedacht

Eine neue Ausstellung zeigt die Vielfalt des politischen Widerstands in Ravensbrück.

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Gedenkt der Frauen nicht nur als Opfer! Gedenkt ihrer und würdigt auch ihren Mut, ihre Solidarität und ihren Überlebenswillen«, forderte Lisl Jäger im Jahr 2010 bei einer Rede anlässlich der Befreiungsfeierlichkeiten der Gedenkstätte des nationalsozialistischen Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. Jäger, in der österreichischen Hauptstadt Wien im Jahr 1924 geboren, wurde dort im Alter von 17 Jahren als Mitglied im Kommunistischen Jugendverband und wegen angeblichen Hochverrats und »Wehrkraftzersetzung« verhaftet und nach Ravensbrück verschleppt.

132 000 Frauen und Kinder, 20 000 Männer und 1000 weibliche Jugendliche aus 40 Nationen und Volksgruppen waren hier und im nahe gelegenen KZ Uckermark von 1938 bis 1945 interniert. Im Gegensatz zu vielen anderen überlebte Lisl Jäger die Haft. Nach der Befreiung 1945 ging sie zunächst zurück nach Wien, zog dann 1950 in die DDR und arbeitete nach ihrem Diplom in Leipzig als Journalistin. Sie blieb Zeit ihres Lebens Antifaschistin und verstarb erst vor wenigen Monaten, am 28. Juni, während die Arbeiten an der Ausstellung »Frauen im Widerstand. Deutsche politische Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück« noch in vollem Gange waren.

Diese wird anlässlich der 60-Jahr-Feier der Gründung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück am 14. September eröffnet. Sie soll die vielfältigen politischen Hintergründe der »Ravensbrückerinnen«, wie sich die ehemaligen weiblichen Häftlinge selbst bezeichneten, differenzierter darstellen, als es bislang der Fall war. Dafür gliedern 28 Ausstellungstafeln die Lebensgeschichten der porträtierten Frauen in sieben chronologische Abschnitte - beginnend mit der Weimarer Republik, über die Zeit der Verfolgung, des Widerstands und der Lagerhaft bis zu den Gründungen der Gedenkstätte und des Internationalen Ravensbrück-Komitees, der Dachorganisation der Überlebendenverbände. Es gibt Video- und Hörstationen, für manche hat die Filmemacherin Loretta Walz, verantwortlich für eine epochale Sammlung von Interviews mit Ravensbrücker Zeitzeuginnen, Ausschnitte zur Verfügung gestellt. Acht Frauen werden in ausführlichen Biografiemappen vorgestellt.

Die Widerstandskämpferin Lisl Jäger ist eine von ihnen. Jäger mag manchen als prominente Überlebende in der DDR und in Berlin ein Begriff sein. Aber wer kennt auch die Sozialdemokratin Martha Fuchs oder die Anarchistin Anna Götze?

Martha Fuchs, geboren 1892, und in den 1920er Jahren für die SPD gewählte Braunschweiger Landtagsabgeordnete, wurde ab 1933 immer wieder von der Gestapo als »politisch unzuverlässiges Element« inhaftiert. 1944 internierten sie die Nazis im Konzentrationslager Ravensbrück. Fuchs arbeitete bereits ab 1946 wieder für die Stadt Braunschweig und wurde im Jahr 1959 deren Oberbürgermeisterin. Berühmt wurde sie weniger als KZ-Überlebende als dafür, dass sie das im Krieg stark beschädigte Braunschweiger Schloss entgegen Protesten aus der Bevölkerung und öffentlicher Institutionen abreißen ließ.

Die Leipzigerin Anna Götze, Jahrgang 1875, bis 1917 Mitglied der SPD, trat in den Spartakusbund und später in die Freie Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) ein. Ihre Wohnung in Leipzig wurde zum Treffpunkt des anarcho-syndikalistischen Widerstands gegen die Nazis. Nach wiederholten Festnahmen und einem Zuchthausaufenthalt in Waldheim wurde sie nach Ravensbrück verschleppt. Dort wurde sie als »Muttchen Götze« von ihren Mithäftlingen ehrenvoll respektiert und unterstützt. 70-jährig schrieb sie 1945 in ihren Antrag zur Anerkennung als Opfer des Faschismus: »Geschworen hatte ich mir einmal, nicht zu heiraten, sondern in einem freien Ehebunde zu leben.«

In der DDR waren Biografien von Ravensbrückerinnen und Häftlingen anderer Konzentrationslager fest in der historischen Bildung zum Nationalsozialismus und den in seinem Namen begangenen Verbrechen verankert. Die häufig damit einhergehende Heroisierung ließ die zu Recht gewürdigten Widerstandskämpfer*innen als unfehlbare Genoss*innen erscheinen, deren Vorbildwirkung als nicht hinterfragbar galt. So geschehen auch vielen kommunistischen Ravensbrückerinnen im Gegensatz zu den meisten ihrer Leidensgenossinnen in Westdeutschland. Dort bekamen die kommunistischen Häftlinge den Antikommunismus der Nachkriegsjahrzehnte heftig zu spüren. Zum Schweigen verdammt, kämpften viele vergebens um Anerkennung und Entschädigung.

Auch dieser Aspekt findet in der neuen Ausstellung mehr Beachtung. Kuratiert wurde sie vom jungen Berliner Historiker Henning Fischer, der zuletzt in einer beeindruckenden Biografiearbeit die Geschichte der Lagergemeinschaften Ravensbrück in der BRD und der DDR gemeinsam untersucht und 2018 unter dem Titel »Überlebende als Akteurinnen« veröffentlicht hat. Die Ausstellung setzt diese Arbeit nun ins Bild und sie zugleich fort. Es sei gelungen, erzählt Fischer sichtlich froh, noch einmal etliche unveröffentlichte Fotos für die Ausstellung zusammenzubekommen. Manche, wie die Bilder von Orli Wald, seien ihm als Originale aus einem Briefumschlag entgegengefallen. Die Post hatte ein Verwandter der als »Engel von Auschwitz« bekannt gewordenen Widerstandskämpferin aufgegeben. »Vieles ist über die Widerstandstätigkeit von Frauen bereits bekannt«, sagt Fischer. Manche der Aktionen, wie Flugblätter verteilen, Geld sammeln oder Kurierdienste, haben allerdings, so der Historiker, oft unter größerem Einsatz als gedacht stattgefunden.

Endlich könne man auch all die Dokumente zeigen, die veranschaulichen, wie viel Text all diese Frauen produziert und verfasst hätten, ergänzt Fischer. Die Frauen seien so nicht nur als Frauen, sondern als politische Subjekte mit politischen Konflikten untereinander zu sehen.

Mit dem Versuch, die Verhältnisse der Ravensbrückerinnen untereinander stärker zu beschreiben, ist etwas Neues gelungen - ohne die einen zu heroisieren und die anderen zu verschweigen. Ein Katalog ist in Planung.

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