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Silke und Holger kaufen sich eine Zeitung
Was sind das eigentlich für Leute, die die »Berliner Zeitung« gekauft haben?
Wenn in der DDR Sozialisierte im bald auch schon dreißigjährigen Gesamtdeutschland Erfolg haben, zumindest öffentlich auffällig, sind sie entweder Schauspieler, Musiker oder was sonst noch in diesem Land als Künstler durchgeht oder Angela Merkel. Im zweiten Fall also die perfekte Verbindung aus dem für pragmatisch erklärten Gleiten durchs Bürokratische und der geräuscharmen Exekution der Interessen der hiesigen Industrie.
Und jetzt gibt es noch Silke und Holger. Die haben sich den Berliner Verlag mitsamt Druckerei und »Berliner Zeitung« gekauft, denn sie sind alt und haben das Geld. Im »Spiegel«, den sie sich in ein paar Jahren auch hätten kaufen können, wenn sie jetzt nicht ihr Geld im Berliner Verlag versenken würden, erzählen sie, warum: »Sagen wir es so: Wir hätten keine andere Zeitung gekauft. Es hat schon mit dem Osten zu tun. Auch mit einem gewissen Trotz. Wir können das. Wir können es anders. Und dass wir mit dem Notar ausgerechnet in einem Büro auf dem Potsdamer Platz saßen, auf dem Mauerstreifen, hatte schon eine gewisse Ironie.« Denn das Scheitern des »sozialistischen Experiments« (deutsches Sprichwort) gebar anscheinend besonders gute Kapitalisten: »Ich glaube, dieses Zurückgeworfensein auf einen selbst ist gut. Wir sind notorisch angstfrei, oder wie Holgers Mutter sagt: pathologisch angstfrei … Ich muss unabhängig vom System funktionieren. Am Ende zählen du und deine Haltung.« Beziehungsweise: »Ein Systemwechsel ist nicht schlimm, wenn man sich darauf einlässt. Wir nennen das positiven Punk.«
Wem positiver Punk, vermutlich die angstfreie Anpassung an die bestehenden Verhältnisse - also das glatte Gegenteil dessen, was Punk mal bedeutet haben könnte - reichlich dämlich erscheint, muss sich aber womöglich über die dann doch irgendwie punkige Gleichgültigkeit von Silke und Holger freuen: »›Spiegel‹: Haben Sie sich denn mit dem Berliner Zeitungsmarkt beschäftigt? Holger Friedrich: Nö. Silke Friedrich: Welcher Markt?« Und ein paar Fragen weiter: »Haben Sie die ›Berliner Zeitung‹ in den letzten Jahren gelesen? Silke Friedrich: Nein. Holger Friedrich: Wir sind ja jetzt ehrlich. Nein. Früher regelmäßig.« Eine Welt, in der zwei unverschämt reiche Menschen ohne Kenntnis und Interesse aus diffusem Trotz sich Zeitungsverlage kaufen können, ist eine nachgerade schwachsinnige, aber hier doch mal unterhaltsame. »Silke Friedrich: Und dann kam mein Mann mit dieser Idee. Andere Männer kommen mit einem Ring, meiner bringt mir einen Verlag an.« Süß.
Doch was wollen die beiden »konkret«? »Holger Friedrich: Wir müssen Inhalte anders aufarbeiten, zielgruppen- und kanalgerecht. Wir müssen niedrigschwellige Angebote formulieren und dann den Preis, je nach Wertigkeit. Wir müssen Leute auf den Haken nehmen und dann anfangen zu ziehen. In anderen Industrien ist das selbstverständlich, beim seriellen Erzählen in den Streamingdiensten zum Beispiel. Die erste Episode ist frei. Die zweite vielleicht auch.« Das stimmt nicht nur nicht, denn Streamingdienste sind klassische Aboangebote, exakt wie Zeitungen, es erzeugt auch das Gegenteil dessen, was Silke sich von Journalismus wünscht: »Es gibt eine Erosion von Vertrauen im öffentlichen Diskurs. Die Gesellschaft wird gerade im Schleudergang durchgerüttelt. Hier muss doch Journalismus ansetzen. Er muss Fakten sammeln, die gesellschaftliche Debatte navigieren, moderieren, statt zu polarisieren und zu hysterisieren.«
Nein, hysterisch wird im Angesicht von Silke und Holger niemand, denn sie sind ein hervorragendes Beispiel dafür, was die beiden Deutschlands und die Weltläufte hervorgebracht haben: Menschen, die pathologisch beliebig Wörter von schwammiger Bedeutung aneinanderreihen und das Ergebnis mit so etwas wie »Haltung« verwechseln. Aber weil eh schon alles egal ist, kann man Silke und Holger nur viel Spaß wünschen. Vielleicht haben wenigstens sie noch welchen.
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