Auf der Regierungsstraße

Fünf Jahre mit Bodo Ramelow als Ministerpräsident haben die Thüringer LINKE nicht entzaubert. Im Gegenteil

Diese Begegnung ist ein Déjà-vu. Vor gut 15 Jahren, im Frühsommer 2004, hatte ich Bodo Ramelow schon einmal begleitet. Es war auch Landtagswahlkampf, er war auch Spitzenkandidat. Seine Partei hieß damals PDS; heute ist es die LINKE. Damals wollte er Ministerpräsident werden, diesmal will er es bleiben. Nach wie vor ist er der unangefochtene Frontmann der Thüringer Linkspartei. Wer jetzt durch das Land fährt, sieht die Plakate, das finale Motiv einer Serie: auf knallrotem Grund der weiße Schriftzug »Bodo Ramelow! Die Linke«. Sonst nichts, kein Bild, nur der Name. 2004 erreichte die PDS 26,1 Prozent, ein für ihre Verhältnisse sensationelles Ergebnis; dennoch reichte es nicht zum Regieren. Jetzt werden der LINKEN knapp 30 Prozent vorausgesagt, was - wenn man sich die Partei in diesen Wochen und Monaten anschaut - nicht weniger sensationell ist.

Die Genossinnen und Genossen haben einen Erfolg dringend nötig nach den ernüchternden Wahlen zum Europaparlament und zu den Landtagen in Sachsen und Brandenburg. Und dabei spielt Ramelow eine entscheidende Rolle. Seit 2014 residiert er in der Staatskanzlei - standesgemäß in der Regierungsstraße. Als sich seinerzeit LINKE, SPD und Grüne auf ein gemeinsames Kabinett einigten, das erste rot-rot-grüne in einem Bundesland, auch noch unter Führung der LINKEN, war die Empörung groß. Erboste Sozialdemokraten, ehemalige Bürgerrechtler und rechte Wutbürger demonstrierten wochenlang, nicht nur auf Marktplätzen oder vor Parteibüros, sondern auch vor Ramelows Wohnhaus.

Der Mann hat viel um die Ohren in diesen Wochen. Interviews, Reden, Reisen durchs Land - sein Zeitplan ist eng getaktet. Auch aus dem Ausland kommen Reporter, um zu sehen, was das für einer ist, dieser Linke, der die schwarze Herrschaft in Thüringen durchbrochen hat. Und ganz nebenbei muss ja auch noch regiert werden.

Bodo Ramelow ist ein Westimport. Keiner wie Bernhard Vogel, der Anfang der 90er aus Rheinland-Pfalz nach Erfurt kam, um der Ost-CDU zu zeigen, wie das Regieren geht. Sondern einer, der den ganz langen Weg gegangen ist. Der Anfang 1990 zum ersten Mal als Gewerkschafter in den Osten fuhr, um Verkäuferinnen zu helfen, die von Entlassung bedroht waren. Der beim Abschied das Angebot hinterließ: Wenn ihr mich braucht, komme ich wieder. Der tatsächlich gebraucht wurde, bald zurückkehrte und den Landesverband der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen aufbaute. Der zu den hungerstreikenden Kalikumpeln in Bischofferode ging, die sich gegen die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze wehrten. Die wollten zuerst nichts mit ihm zu tun haben, er kam ja nicht aus der Bergbaubranche. Aber dann waren sie froh, dass sich jemand für sie interessierte, um sie kümmerte, am Ende ihre Sozialpläne mit der Treuhand verhandelte.

So etwas vergessen die Menschen nicht, und Ramelow vergisst es auch nicht. 2004 stand die letzte Grubenlampe aus Bischofferode, die die Kumpel ihm geschenkt hatten, im Büro des Fraktionsvorsitzenden Ramelow. Er hat sie mitgenommen in die Staatskanzlei. Dort erinnert sie ihn daran, woher er kommt und für wen er Politik macht.

Ausflug nach Arnstadt vor den Toren Erfurts. Eine von vielen Wahlkampfstationen. »Seit über 30 Tagen bin ich jetzt ununterbrochen auf Tour, jeden Tag«, sagt er. Er hält keine Wahlkampfreden, er will ins Gespräch kommen. Jeden Nachmittag Begegnungen mit Einwohnern, Unternehmern, Gewerbetreibenden, Kommunalpolitkern. Jeden Abend ein Bürgertreff. Ramelows Dienstwagen hält im Zentrum von Arnstadt, die Leute schauen herüber. Wenn eine große schwarze Limousine mit Blaulicht auf dem Dach vorfährt, ist das ein Ereignis. Der Ministerpräsident steigt aus. »Wo ist der Hund?«, ruft ein Mann. Attila, der Jack-Russell-Terrier, ist eine Berühmtheit, mit Twitter-Account und Körbchen in der Staatskanzlei. »Dort, guckt mal, Bodo Ramelow«, ruft ein vielleicht Zwölfjähriger seinen Freunden zu.

Der Ministerpräsident geht auf die Menschen zu, in der Diskussion wird er auch mal prinzipiell. Nachdrücklich zu argumentieren, das hat er gelernt als Gewerkschafter. Wenn ihn die Fotografen mal nach links, mal nach rechts dirigieren oder seine Mitarbeiter ihn an den nächsten Termin erinnern, sagt er: »Ich arbeite nur nach Anweisung.« Tatsächlich weiß er sehr genau, was er will.

Jörg Bugenhagen, ein Arnstädter CDU-Kommunalpolitiker, zeigt ihm den historischen Gebäudekomplex, den er mit seiner Firma saniert, teils erneuert hat. Der Mann betreibt dort ein Modegeschäft, ein Optiker ist auch untergekommen, Wohnungen sind entstanden. Am Ende der kurzen Führung wünscht der CDU-Mann Ramelow »alles Gute - und weiter gemeinsam gegen rechts«. Der Vorsitzende des Seniorenbeirats, auch ein CDU-Mann, schaut vorbei: »Ich muss doch dem Ministerpräsidenten die Hand schütteln.«

Ramelow wird akzeptiert. Würde der nächste Thüringer Regierungschef direkt gewählt, er müsste sich keine Sorgen machen; in entsprechenden Umfragen führt er einsam. Das hat damit zu tun, dass seine Regierung kein Chaosverein ist. Dass er nicht über Probleme reden, sondern sie lösen möchte. »Ich will über Vorschläge sprechen, wie etwas geht«, sagt er. »Man hört viel zu oft, wie etwas nicht geht. Das nervt mich.« Er hört sich die Sorgen von Unternehmern genauso an wie von Beschäftigten und Rentnern; er nimmt ihre Fragen auf, aber er sagt auch: »Ich werde Ihnen nicht das Blaue vom Himmel versprechen.«

In Arnstadt diskutiert er mit Kommunalpolitikern und Leuten aus Kultur und Wirtschaft über das neue große Projekt einer Batteriefabrik. Der chinesische Weltmarktführer für E-Auto-Akkus eröffnet einen Standort bei Erfurt. Ein bemerkenswerter Ansiedlungserfolg, der aber Folgen hat für Arbeitskräfte, Wohnungsfragen, den Nahverkehr. Am Ende des Gesprächs muss Ramelow noch mitgehen und sich das Polizeirevier um die Ecke ansehen, zu dem kein ordentlicher Fußweg führt. Ob er darüber nicht mal mit dem Innenminister sprechen könne? Sein Mitarbeiter notiert die Sache.

Eine Stimme Mehrheit hat Rot-Rot-Grün im Erfurter Landtag. »Damals wurden Wetten darauf abgeschlossen, dass wir höchstens 100 Tage durchhalten«, sagt Ramelow. »Und jetzt? Sind wir immer noch da und haben etwas vorzuweisen.« Er habe sich vor fünf Jahren »die Kraft zugetraut, das zusammenzuhalten«. Vielleicht auch, weil er schon 1998, noch als Gewerkschaftsfunktionär, die Erfurter Erklärung unterschrieben hat, in der es um eine Alternative zur ewigen CDU-Herrschaft des Helmut Kohl ging. Eine rot-rot-grüne Alternative.

Gut 15 Jahre später war die Chance da, zumindest in Thüringen. Schon einmal, 2009, hätten sie die CDU ablösen, hätte die LINKE eine Regierung anführen können. »Aber wir haben damals unseren Erfolg so ausgelebt, dass wir die möglichen Partner an die Wand gespielt haben«, sagt Ramelow. Die SPD entschied sich dann für eine Koalition mit der CDU, und Ramelow verstand irgendwann, »dass ich daran meinen Anteil hatte. Seitdem gehe ich sorgsam mit den Partnern um.« Dazu gehört, Entscheidungen und Veränderungen möglichst so vorzubereiten, »dass wir sie nicht einfach nur von oben mit der einen Stimme Mehrheit beschließen, sondern dass gleichzeitig etwas an der Basis wachsen und sich entwickeln kann. Denn was wir jetzt verändern, das soll ja, wenn sich die politischen Verhältnisse doch einmal drehen sollten, nicht wieder abgewickelt werden.«

In den letzten fünf Jahren hat Ramelow viel gelernt. Dass der Ministerpräsident Vorlagen mit einem grünen Stift unterschreibt. Dass es keinen Zweck hat, Beamte anzubrüllen, die sich an ihre Vorschriften halten, so bürokratisch die auch sein mögen. Dass es besser ist, über Ideen zu diskutieren, als Anweisungen zu erteilen. Dass man den kleineren Koalitionspartnern gleichberechtigt begegnen sollte, damit der Laden funktioniert. Und dass man die Mehrheit nicht erreicht, wenn man die Partei gegen sich hat. Deshalb pflegt Ramelow ein Morgenritual. Jeden Tag kurz nach den Sieben-Uhr-Nachrichten, den ersten Kaffee in der Hand, manchmal noch im Bett sitzend, telefoniert er. Mit der LINKE-Landesvorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und ihrem Stellvertreter Steffen Dittes. Ein erstes Vorfühlen in den Tag; kurze Verständigung, um Missverständnissen vorzubeugen. Lieber einmal reden, als später dreimal zu korrigieren oder gar zu dementieren. Ramelows frühe Eingreiftruppe.

In den Umfragen für die Landtagswahl am Sonntag liegen die Thüringer LINKEN vorn, aber kein Mensch weiß, ob Rot-Rot-Grün weitermachen kann. Denn die Parteienlandschaft im Freistaat hat sich verändert. Die AfD ist ein Machtfaktor geworden, ungeachtet der Tatsache, dass ihr Spitzenmann Björn Höcke so weit nach rechts abgedriftet ist, dass man ihn inzwischen juristisch beglaubigt als Faschisten bezeichnen darf. Über diese AfD will Ramelow nicht allzu viel reden. »Die haben nichts als Empörung«, sagt er, »und ich habe keine Lust, mich jeden Tag darüber zu empören.« Natürlich spricht er doch darüber: über die Anmaßung des AfD-Slogans »Vollende die Wende« etwa, über die tief sitzenden rechten Einstellungen bei vielen Menschen, über die zunehmenden Drohungen aus dem rechten Spektrum gegen Demokraten. Aber auch darüber, »dass 75 Prozent der Gesellschaft solchen Leuten nicht das Feld überlassen wollen«.

Gefragt, was er macht, wenn sein Regierungsbündnis am Sonntag keine Mehrheit bekommt, sagt Ramelow: »Es wird wieder Rot-Rot-Grün geben.« Punkt. Und wenn doch … »Es wird Rot-Rot-Grün geben. Und bevor Sie noch einmal fragen: Es wird Rot-Rot-Grün geben.« Dafür macht er Wahlkampf, für genau diese Dreierkonstellation.

Allenfalls lässt er sich entlocken, dass auf seinem Wochenendgrundstück ein großer Haufen Kaminholz wartet, das mal zerkleinert werden müsste, wenn er viel Zeit hätte. Damit das nicht allzu abweisend klingt, erzählt er gern von jenem Journalisten, der ihn fragte, ob er bereit sei, nach der nächsten Wahlperiode noch einmal anzutreten. »Der geht doch offenbar davon aus«, erklärt Ramelow genüsslich grinsend, »dass ich nach dem 27. Oktober wieder für fünf Jahre Ministerpräsident bin.«

Dafür kämpft er. Anfragen, ob er nächstes Jahr einen Posten in der Bundesführung der LINKEN anstrebe, beantwortet er ablehnend. Nein, er habe sich für sein Bundesland entschieden, und dabei bleibe es. Thüringen first, sozusagen. Falls die Wähler am Sonntag keine praktikable Mehrheit ankreuzen, kann er mit der jetzigen Regierung so lange im Amt bleiben, bis es doch eine Entscheidung gibt. Das könnte lange dauern, denn die Landesverfassung setzt keine Frist für die Regierungsbildung. Das Holz auf Ramelows Grundstück muss, wenn seine Pläne aufgehen, noch eine ganze Weile ungehackt bleiben.

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