»Geben. Teilen. Leben«

Leo Fischer erklärt, wie REWE an seinen Ladenhütern gleich mehrfach verdient

»Geben. Teilen. Leben«, so steht es in herzerfrischenden Grüntönen auf den Plakaten, »einander zu helfen macht uns stark«. Und noch nie war es so einfach, einander zu helfen: »So einfach geht’s: 1. Spendentüte für 5 Euro kaufen, 2. An der Sammelstelle im Markt abgeben, 3. REWE gibt die Tüten an die Tafeln vor Ort.« So wohligwarm die Plakate, so trist die fahlen Papiertüten - trister nur der Inhalt: »ja!«-Doppelkekse, »ja!«-Tomatencreme-Suppe, »ja!«-Spaghettigericht Tomate, »ja!«-Langkorn-Spitzenreis, »ja!«-Tortelloni, »ja!«-Riccota-Spinat und »ja!«-Nuss-Nougat-Creme. Lebensmittel also, die diese Bezeichnung kaum verdienen und garantiert niemanden »stark machen«, werden von REWE jetzt wieder tonnenweise in Tüten gestopft und an den Kassen der Supermarktkette verhökert. »Wollen Sie für 5 Euro eine Tüte für die Tafeln spenden«, fragt die Kassiererin und macht, stößt sie auf Ablehnung, ein Geräusch persönlicher Enttäuschung - welcher Unmensch hat denn bitteschön keine fünf Euro für arme Menschen übrig?

Mehr als 25 Jahre gibt es jetzt die Tafeln, und man hat das Gefühl, sie werden immer beliebter. Natürlich nicht bei den Leuten, die auf sie angewiesen sind. Die erzählen oft ganz andere Geschichten von den Tafeln; Geschichten von Demütigung, Scham und der viel zu oft genuin herrenmenschlichen Attitüde derjenigen, die sich da »ehrenamtlich« zum Richter über den Lebenswandel der Ärmsten aufschwingen. Beliebt sind die Tafeln vielmehr bei Ursula von der Leyen, Kristina Schröder oder Katarina Barley, die den Tafeln als »Schirmherrinnen« vorstehen - Politikerinnen, für deren desaströse Sozialpolitik Einrichtungen wie die Tafeln billige Palliativmedizin sind, lassen sich von diesen auch noch dafür feiern, sie nötig gemacht zu haben. Beliebt sind die Tafeln auch bei den Supermarktketten selbst, die keine Ausgaben scheuen, wenn es gilt, »containernde« Jugendliche aus den Müllhöfen ihrer Filialen zu vertreiben: Sie können abgelaufene Lebensmittel ja hochoffiziell über die Tafeln beseitigen, sparen sich die professionelle Entsorgung - und werden auch noch als soziale Unternehmen gepriesen dafür, den Armen Müll vorzusetzen.

Der jüngste Streich mit den »Spendentüten« nützt REWE aber noch auf ganz andere Weise: Nicht nur kann man so die Lager von unbeliebten Ladenhütern bereinigen (REWE: »In der Tüte befinden sich Lebensmittel, die aufgrund ihrer langen Haltbarkeit eher selten gespendet werden«), nein, die Kunden zahlen für die Entsorgung via Charity sogar noch fünf Euro drauf. Den Steuervorteil für die Spenden nimmt dabei wiederum REWE mit: Denn selbstverständlich erhält der Kunde an der Kasse keine Spendenquittung! Steuerlich wirksam werden die Spenden ausschließlich für REWE selbst. So spart ein Großkonzern millionenfach Steuern damit, wertlose Waren nicht teuer zu entsorgen, sondern von Hungerleidern aufessen zu lassen - und lässt sich das sogar noch von wohlmeinenden Kunden bezahlen.

Währenddessen dient die Existenz der Tafeln in vielen Kommunen den Jobcentern nach wie vor als brauchbare Begründung dafür, die Sozialhilfesätze nach unten zu schrauben: »Essen kriegen Sie ja bei den Tafeln«. Konzerne, die sich qua Steuerbefreiung aus der Verantwortung für Armut stehlen, Politikerinnen, die diese Resterampen als soziale Errungenschaft anpreisen und eine weitgehend ahnungslose Mittelschicht, die sich diesen Betrug noch als Engagement verkaufen lässt: Wer ein plastisches Beispiel dafür braucht, was am Modell der »sozialen Marktwirtschaft« neudeutscher Prägung ganz oberfaul ist, findet es in den REWE-Spendentüten.

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