Chirurgischer Mord

Israels Angriff auf Kommandanten des »Islamischen Dschihads« provoziert Gegenangriff

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Gegen vier Uhr Ortszeit feuerte Israels Militär am Dienstagmorgen eine Rakete auf ein Gebäude in einem Wohnviertel von Gaza-Stadt ab. Darin befand sich Baha Abu al Atta, seine Frau sowie mindestens zwei Kinder. Abu al Atta und seine Ehefrau seien wahrscheinlich sofort tot gewesen, teilte das unter der Kontrolle der Hamas stehende Gesundheitsministerium in Gaza mit; zwei Kinder seien verletzt worden.

Weniger als eine Stunde später schlugen zudem in einem Gebäude nahe der libanesischen Botschaft in Damaskus Raketen ein. In dem Gebäude soll sich Akram Ajouri, ein hochrangiger Funktionär des Islamischen Dschihad aufgehalten haben. Die syrische Nachrichtenagentur SANA meldete, Ajouri habe überlebt, jedoch seien ein »Sohn sowie eine weitere Person« getötet worden. Die Angaben lassen sich nicht prüfen - israelische Militärsprecher bestätigten den Angriff auf Abu al Atta, machten aber keine Angaben zu Ajouri.

Nachdem im August 2014 der Kommandant der al-Kuds-Brigaden in Gaza, Daniel Mansur, bei einem Militärangriff getötet worden war, stieg Abu al Atta zum Anführer des bewaffneten Flügels des Islamischen Dschihads auf. Bis dahin war er die Nummer zwei in der, nach den der Hamas zugehörigen Essedin al Kassam-Brigaden, zweitgrößten paramilitärischen Gruppe im Gazastreifen gewesen. Israels Regierung macht Abu al Atta für mehrere Hundert Raketenangriffe auf Israel verantwortlich. Außerdem habe er versucht, Terroranschläge in israelischen Städten ausführen zu lassen.

Angriffe wie jene am frühen Dienstagmorgen werden in Israel als »chirurgische Schläge« bezeichnet, ein Begriff, der in der Öffentlichkeit den Eindruck von Präzision erzeugen soll: Personen, in denen man eine Gefahr für die eigene Bevölkerung sieht, sollen getötet, zivile Opfer vermieden werden: Das ist die reine Lehre.

In Israel hat der Regierungschef das Recht, Militär- sowie Geheimdienstoperationen gegen Personen anzuordnen, die als Gefahr für die Sicherheit des Staates Israel eingestuft wurden. Der Oberste Gerichtshof hatte den Entscheidungsspielraum seit den 90er Jahren jedoch in mehreren Urteilen zunehmend eingeschränkt: Zivile Opfer seien zwingend zu vermeiden, wobei bislang nicht gerichtlich festgestellt wurde, ob Familienangehörige von Funktionären paramilitärischer Gruppierungen auch als Zivilisten gelten.

Trotz einer Vielzahl von Gewaltausbrüchen rund um den Gazastreifen hatte es nun mehrere Jahre lang keine gezielten Tötungen von Funktionären militanter palästinensischer Gruppen gegeben. Nicht nur die Regeln wurden zunehmend strenger, auch die Kritik im In- und Ausland wurde größer. Auch die Sinnfrage wurde in den vergangenen Jahren in Israels Politik und Militär meist negativ beantwortet.

Denn so gut wie immer gaben die betroffenen Organisationen, meist die Hamas oder der Islamische Dschihad, innerhalb kürzester Zeit die Ernennung von Nachfolgern bekannt; so gut wie nie wurde ein Nachlassen der Aktivitäten erkennbar. Im Gegenteil: Auf gezielte Tötungen folgen in der Regel Demonstrationen der Anhängerschaft und, im Fall des Gazastreifens, ein verstärkter Raketenbeschuss auf Israel - so auch am Dienstag. Im Laufe des Tages wurden Dutzende Raketen aus dem Gazastreifen heraus abgefeuert. Dass Regierungschef Benjamin Netanjahu den Militärschlag nun dennoch anordnete, wurde in den israelischen Medien überwiegend auf die politische Lage zurückgeführt: Nach der zweiten Wahl innerhalb weniger Monate versucht Benny Gantz von der zentristischen Blau-Weiß-Liste, eine Koalition zu bilden. Erst vor wenigen Tagen hatte Netanjahu überraschend Naftali Bennett von der Partei »Neue Rechte« zum Verteidigungsminister ernannt; es wird spekuliert, dass die »Neue Rechte« damit von einer Koalition mit Gantz abgehalten werden soll. Bennett fordert bereits seit Jahren ein militärisches Vorgehen gegen die Hamas und den Islamischen Dschihad - Netanjahu hingegen setzte bislang vor allem auf Diplomatie.

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