Zu wenig und zu spät

Professorin Dr. Kristina Wolff kritisiert Bundesfamilienministerin Franziska Giffeys Politik zu Gewalt gegen Frauen

Am Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, dem 25. November, stellte Familienministerin Franziska Giffey den jährlichen Bericht zur Partnerschaftsgewalt des Bundeskriminalamtes vor. Die Gewalt in Partnerschaften hat auch im Jahr 2018 weiter zugenommen. Darüber hinaus informierte sie über ihre ministeriumseigene Initiative »Stärker als Gewalt«, eine Internetplattform auf der Hilfsangebote gebündelt für von Gewalt betroffene Männer und Frauen präsentiert werden. An der Initiative beteiligen sich bislang 13 bestehende Organisationen aus dem Bereich des Gewaltschutzes. Gegenüber »nd« äußern Expertinnen ein wenig Lob und viel Kritik an dem Vorschlag.

Auf Nachfrage erläutert Heike Herold, Geschäftsführerin des Vereins »Frauenhauskoordinierung«, ihre Teilnahme an dem Projekt. Gegenüber »nd« sagt sie, für sie seien verschiedene Gründe ausschlaggebend. Es sei wichtig, dass eine breitere Öffentlichkeit das Thema »Gewalt gegen Frauen« zugänglich gemacht werde. Und es sei ein wichtiges Symbol, wenn die Familienministerin das Thema in einer öffentlichen Kampagne aufgreife. Außerdem würden mit dem Runden Tisch aus Bund, Ländern und Gemeinden erste Schritte gegangen, um das Thema voranzubringen. Allerdings wünscht sich Herold eine stärkere Einbindung der Fachexpertise der zivilgesellschaftlichen Gruppen, die zum Teil seit vielen Jahren in Beratungs- und Schutzeinrichtungen aktiv sind.

Die Istanbulkonvention

Die sogenannte Istanbulkonvention bezeichnet kurz das völkerrechtliche Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Fertiggestellt wurde das Vertragswerk bereits 2011. In Deutschland ist die Istanbulkonvention am 1. Februar 2018 in Kraft getreten. Die Konvention ist damit geltendes Recht.

Das Übereinkommen ist das erste völkerrechtlich verbindliche Instrument im europäischen Raum zum Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Allerdings hat Deutschland einen Vorbehalt zu Artikel 59 geltend gemacht. Damit entzieht es sich der Vorschrift, geflüchteten oder migrierten Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind oder als Zeuginnen in Strafverfahren aussagen, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu ermöglichen. ulk

Professorin Dr. Kristina Wolff, Initiatorin der Petition »Stoppt das Töten von Frauen #saveXX«, kritisiert die Initiative als »kosmetische Maßnahme« und weist auf die »eklatante Unterversorgung beim Schutz der akut von Gewalt betroffenen Frauen« hin. »Was mich wirklich wütend macht, ist wie Frau Giffey dieses Ausmaß an Gewalt weglächelt«, empört sie sich. »Es reicht nicht aus, Gewalt gegen Frauen nur an Gedenktagen öffentlichkeitswirksam zu thematisieren«, so Wolff weiter.

Die Professorin für Event- und Internationales Kongressmanagement wirft der Bundesregierung darüber hinaus vor, erst mit zwei Jahren Verspätung anzufangen, Minimalforderungen der Istanbulkonvention zu erfüllen. Ihr fehle eine Gesamtstrategie, erläutert sie gegenüber »nd« und fragt: »Seit wann ist die Umsetzung von Völkerrecht Ländersache?«.

Damit spricht Wolff die Finanzierung von Frauenhäusern - und anderer Hilfeeinrichtungen an, die nach wie vor von Ländern und Kommunen freiwillig bestritten wird. Ist ein Haushalt defizitär, wird die Förderung der Einrichtung eingestellt und die Einrichtung gegebenenfalls geschlossen. Daran will Giffey nichts ändern. Sie betonte, dass Länder und Kommunen in der Pflicht seien.

Wolff selbst engagiert sich in diesem Jahr mit einer Kampagne, die sie zusammen mit change.org entwickelt hat. Dazu gehören die Petition, eine Demonstration am Brandenburger Tor sowie ein Instagram-Account. Bis jetzt haben mehr als 72.000 Menschen die Petition unterschrieben. Für Instagram habe sie sich entschieden, weil es ihr wichtig ist, auch junge Frauen und Mädchen anzusprechen und die Ländergrenzen zu überwinden.

In dem Account wird ein einziges Bild einer Frau gezeigt. Daneben steht jeweils ein kurzer Eintrag zu einem aktuellen Fall von Gewalt gegen Frauen, beginnend im Januar 2019. »Beim bloßen Zählen der Opfer haben die Menschen es sehr schnell wieder vergessen. Es braucht einen emotionalen Bezug. Ich wollte den Opfer außerdem wenigstens ein kleines Profil geben«, erläutert sie. Auffällig ist der erste Eintrag mit dem Namen Petra Kelly aus dem Jahr 1992. »Petra Kelly war der erste Fall, den ich bewusst wahrgenommen habe. Und ich merke, dass er bei mir immer noch nachhallt. Es war ein schockierendes Gefühl. Und das ist 27 Jahre her.« Petra Kelly war eine Grünenpolitikerin, ihr Lebensgefährte hat sie mutmaßlich erschossen. Die Umstände der Tat konnten allerdings nie ganz aufgeklärt werden.

Wolff selbst nähere sich der Thematik »Femizid«, also Frauenmorden in Deutschland Stück für Stück. »Und je länger ich mich damit beschäftige, desto eklatanter wird der Missstand in unserem Rechts - und Sozialstaat erkennbar.«, erzählt Wolff weiter.

Bereits im Januar initiierte Wolff ihre Kampagne. Anfang des Jahres gab es in Österreich allein im Januar sechs Femizide. Wolff sagt gegenüber »nd«, dass sie die deutsche Berichterstattung als von Oben herab empfand, als gäbe es in Deutschland keine Gewalt gegen Frauen: »Das hat mich wahnsinnig geärgert.«

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