Erfolgreiche Lobbykampagne

Für Tim Engartner ist der »DigitalPakt Schule« ein Geschenk der Politik an die Global Player der IT-Branche

  • Tim Engartner
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass die örtliche Sparkasse das Schulfest sponsert, der Energieriese RWE Mitarbeiter in die Schulen entsendet und der Bundesverband deutscher Banken kostenfreie Lehrerfortbildungen anbietet, ist gängige Praxis. Nun aber treten mit dem von Bund und Ländern verabschiedeten »DigitalPakt Schule« noch weitere Akteure auf den Plan, um das Schulsystem für ihre Zwecke urbar zu machen. Konzerne wie Apple, Google, Microsoft und Samsung dürfen mit gigantischen Aufträgen rechnen, während abzuwarten bleibt, ob das milliardenschwere Digitalisierungsprogramm Lehrenden und Lernenden das Lehren und Lernen wirklich erleichtert.

Die Praktiken in den USA lassen vermuten, dass die Global Player die fünf Milliarden Euro des Bundes sowie die mindestens 500 Millionen Euro der Länder in den kommenden fünf Jahren nutzen werden, um ihre Hard- und Software im Paket mit Fortbildungen, Lernplattformen und Unterrichtskonzepten anzubieten. Dies gilt umso mehr, als Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) Unternehmen und Stiftungen systematisch in die Fort- und Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte einbinden möchte.

Schon jetzt steht fest, dass mit der Digitalisierung der Bildungsangebote das Einfallstor für Unternehmensinteressen noch weiter aufgestoßen wird. Apple wirbt bereits für eine intensive Einbindung seiner Produkte in den Unterricht: »Seit 40 Jahren unterstützt Apple Lehrerinnen und Lehrer dabei, das kreative Potenzial jedes einzelnen Schülers freizusetzen. Heute tun wir das auf mehr Arten als je zuvor.« Auch Google drängt in die Klassenzimmer. Der Konzern lädt Lehrkräfte seit einigen Jahren ein, an der Entwicklung lernunterstützender Programme mitzuarbeiten und sich in »Google-Erziehergruppen« untereinander und mit dem Konzern austauschen. Und mit Diensten wie »Google Maps«, »Google Chrome«, »Google Docs«, »Google Calendar« oder der Videoplattform »YouTube« ist das Unternehmen inzwischen in nahezu sämtlichen Klassenzimmern präsent.

Beinahe die Hälfte der deutschen Schülerinnen und Schüler greift auf »YouTube« als digitales Leitmedium zu - bei einer Nutzungsquote von 86 Prozent für schulisches Lernen. Auch zur Gestaltung virtueller Lernumgebungen im Klassenzimmer unter dem Stichwort »Google Classroom« leistet der Konzern nicht nur mit Broschüren einen Beitrag, sondern auch mit vertiefenden Hinweisen im Rahmen von Lehrerfortbildungen: »Für interessierte Lehrerkollegien, Studienseminare, Lehramtsstudierende, Fachtage und Messen bieten wir die Möglichkeit, einen Referenten mit kompletter Technikausstattung zu buchen, der im Rahmen eines kostenlosen 60- bzw. 90-minütigen Workshops praxisnah über den Einsatz von Virtual- und Augmented-Reality im Unterricht informiert.«

Wann endlich reift in den Schul-, Bildungs- und Kultusministerien wie in den Schulämtern das Bewusstsein dafür, dass der »Digitalpakt« auch das Ergebnis einer langjährigen Kampagne zu Gunsten der führenden Hard- und Softwarehersteller ist, während andere berechtigte Bildungsanliegen wie die Inklusion von Menschen mit Behinderung, die Integration von Geflüchteten oder die Verbesserung der Lehrenden-Lernenden-Relation vernachlässigt wurden?

Reifen muss auch die Erkenntnis, dass der neurobiologische Prozess des Lernens, in dessen Rahmen die Datenwege bestenfalls vom Trampelpfad zur Autobahn ausgebaut werden, nicht allein durch die Nutzung digitaler Medien oder Endgeräte angebahnt wird. Denn dafür müssen Erkenntnisse bekanntlich eigenständig von den Lernenden erarbeitet werden.

Natürlich soll sich die Digitalisierung der Lebenswelten in der Digitalisierung der Bildungswelten niederschlagen. Aber die chronische Unterfinanzierung des Schulsystems, die in baufälligen Schulgebäuden ebenso ihren Niederschlag findet wie in einem sich stetig verschärfenden Mangel an (professionell ausgebildeten) Lehrkräften, darf nicht aus dem Blick geraten.

Mit Blick auf die abnehmende Sprachkompetenz könnte die Digitalisierungseuphorie sogar kontraproduktiv sein. Keinesfalls dürfen wir glauben, dass sich die Sprachkompetenz der Schüler verbessert, wenn sie ab frühestem Alter nur noch auf Tastaturen hauen. Eine Handschrift ist mehr als unsere Visitenkarte. Das Schreiben per Hand ist zugleich essenziell, um unsere Feinmotorik zu schulen, unsere Merkfähigkeit auszuprägen und unser kulturelles Erbe zu bewahren.

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