Als Johann Wichern den Adventskranz erfand

Das vorweihnachtliche Gebinde hat seinen Ursprung im »Rauhen Haus« in Hamburg-Horn

  • Reinhard Schwarz
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Adventskranz gehört seit Generationen zum vorweihnachtlichen Brauchtum - zur Freude der Floristen. Doch wie und wo entstand dieser Kreis aus gewickeltem Tannengrün und Kerzen? Nur wenigen ist wohl bekannt, dass der Adventskranz eine Erfindung des Hamburger evangelischen Theologen und Erziehers Johann Hinrich Wichern (1808 - 1881) ist. 1839 - vor nunmehr 180 Jahren - hing am ersten Advent im Betsaal des Rauhen Hauses in Hamburg-Horn ein hölzernes Rad mit Kerzen. Während heutzutage in der Regel vier Kerzen ausreichen, waren es bei Wichern bis zu 24 - für jeden Tag der Adventszeit bis zum 24. Dezember eine. Die Kerzen für die vier Adventssonntage waren weiß gefärbt, die für die Werktage und Sonnabend rot.

Wichern hatte das Rauhe Haus 1833 mit Unterstützung einflussreicher und vermögender Hanseaten wie Carl Sieveking, der das Grundstück zur Verfügung gestellt hatte, gegründet. Ziel war es, Jungen - und später auch Mädchen - der untersten, verarmten Gesellschaftsschichten aufzunehmen und in einer »Rettungsanstalt für sittlich verwahrloste Kinder in Hamburg« zu betreuen. Wobei der Begriff »Rauhes Haus« schon zu Lebzeiten Wicherns Anlass zu Missverständnissen gab. Ging es doch nicht um die Einführung »rauher Sitten«. Vielmehr hieß das erste Haus so, weil das Areal, auf dem die »Rettungsanstalt« entstand, bereits so hieß. In der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1786 ist die Rede von »bey dem sogenannten Rougen Hause«.

»Wicherns Idee beim Adventskranz war, den Kindern die Zeit des Wartens und die Vorfreude auf das Weihnachtsfest anschaulich erlebbar zu machen«, heißt es beim Rauhen Haus, das heute eine Einrichtung der Diakonie ist. »Jeden Tag wurde eine Kerze mehr angezündet, so dass am Heiligen Abend sämtliche Lichter brannten.« Wichern notierte in seinem Tagebuch: »Das Ganze diente ebenso zur Erbauung als Stärkung und Freude im Herrn.« Nebenbei lernten die Kinder, die meist nicht schreiben oder lesen konnten, das Zählen.

Wicherns Erziehungskonzept war zu seiner Zeit durchaus fortschrittlich, gilt inzwischen aber als anachronistisch. Erstmals sollten »verwahrloste« Kinder nicht durch Gewalt und drakonische Strafen erzogen werden. An die Stelle des äußeren Zwangs trat eine »Gewissensprüfung«, also Selbstdisziplinierung. Allerdings kam auch Wichern nicht ohne Strafen aus.

Nach und nach verbreitete sich der »Wichernkranz«, wie er heute noch von Diakonie und Evangelischer Kirche genannt wird, im protestantischen Christentum. 1925 wurde erstmals in einer katholischen Kirche in Köln ein Adventskranz aufgehängt, 1930 in München. Der Brauch, das Holzrad mit Tannenzweigen zu schmücken, entstand ebenfalls in Hamburg-Horn. Zunächst wurden ab 1851 im Betsaal des Rauhen Hauses die Wände mit Tannengrün geschmückt, ab 1860 auch das Holzrad.

Der »Wichernkranz« enthält eine Schwierigkeit: Die Anzahl der Kerzen variiert, je nach Kalenderjahr, zwischen 18 und 24. Übrigens: Auch heute noch wird im Rauhen Haus die von Wichern eingeführte Tradition gepflegt. In der Adventszeit kommen die Grundschüler jeden Morgen zur Andacht. Dabei wird jeweils eine weitere Kerze des »Wichernkranzes« entzündet - bis Heiligabend.

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