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  • Film: Milchkrieg in Dalsmynni

Wenn der Genosse zum Feind wird

»Milchkrieg in Dalsmynni«: Eine Bäuerin kämpft gegen den Machtmissbrauch der Genossenschaft, von der sie abhängig ist

  • Jörn Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Island ist also doch nicht die Insel der Glückseligen. Die älteste noch bestehende Republik der Welt belegt in allen Berechnungen des Lebensstandards einen der vordersten Plätze. Obwohl diese Republik einst von machistischen Raufbolden gegründet wurde, hält Island im Global Gender Gap Index, der die Fortschritte bei der Gleichstellung der Frauen misst, seit 2009 den ersten Platz. Viel weiter kann man es im Kapitalismus wohl nicht bringen - eine bemerkenswerte Leistung, zumal die kalte und karge Insel für die menschliche Besiedlung eigentlich gar nicht geeignet ist und vielleicht deshalb die wohl höchste Literatendichte der Welt aufweist.

Bücher schreibt Inga (Arndís Hrönn Egilsdóttir) nicht, und glücklich ist sie auch in der Zeit nicht, als ihr Ehemann Reynir (Hinrik Ólafsson) noch lebt. Ihr Bauernhof ist hoch verschuldet; dass sie alles, von Gütern des täglichen Bedarfs bis zu Dünger und Landmaschinen, zu den hohen Preisen der Genossenschaft einkaufen müssen, erleichtert ihre Lage nicht. Einst gegründet, um die Bauern vor der Ausbeutung durch Handelsgesellschaften zu schützen, ist die Genossenschaft zu einem bürokratischen Apparat geworden, der den Landkreis beherrscht, Abweichler mit ökonomischem Boykott bestraft und sich fragwürdiger Methoden bedient. Als Inga herausbekommt, dass Reynir so etwas wie ein IM der Genossenschaftsführung war, zum Ruin einiger Nachbarn beigetragen und sich möglicherweise aus Scham selbst getötet hat, indem er seinen LKW in den Abgrund steuerte, entschließt sie sich zum Kampf.

Das klingt nach »Allein gegen die Mafia«, und als solche bezeichnet Inga die Genossenschaft auch, als sie mit einem Facebook-Eintrag den »Milchkrieg« eröffnet. Doch »Milchkrieg in Dalsmynni« (der Originaltitel »The County«, der Landkreis, ist eigentlich passender) ist keiner jener skandinavischen Krimis, bei denen man sich am Ende wundert, dass in der Einöde überhaupt noch jemand am Leben ist. Wenn zwei Nachbarn zeigen, dass trotz des Spitzenplatzes im Global Gender Gap Index der Machismo auf der Insel nicht ausgestorben ist, oder Inga angesichts der Intrigen der Genossenschaft ausrastet und den Kuhmist zur Waffe macht, ist dies der Höhepunkt der Eskalation.

Die Mechanismen des Machtmissbrauchs sind subtiler. Ingas Gegenspieler, der Genossenschaftsleiter Eyjólfur (Sigurður Sigurjónsson), ist ein ergrauter, stets verständnisvoll daherredender Mann, der allerdings tief in die Kiste der schmutzigen Tricks greift, wenn jemand seine Macht oder auch nur seine Politik infrage stellt. Eher ein durchtriebener Gewerkschaftsfunktionär als ein brutaler Mafiaboss also, aber das macht den Kampf nur unblutiger, nicht einfacher. Zumal Eyjólfur auch Argumente anführen kann: Wären die Bauern in der abgelegenen Provinz ohne den Schutz der Genossenschaft im real existierenden Kapitalismus nicht viel schlechter dran?

Das Szenario von »Milchkrieg in Dalsmynni« ist komplexer als die gängige Story »Mutige Aktivistin gegen bösen Konzern«. Inga, eine Frau mittleren Alters, ist weder sonderlich eloquent noch charismatisch. Sie ist eine moderne Bäuerin, die die Melkanlage bedient und einem Kalb auf die Welt hilft, aber auch mit den sozialen Medien umzugehen weiß. Sie bleibt seltsam ruhig, selbst wenn sie ausrastet, und kämpft mit einer gewissermaßen unterkühlten Starrköpfigkeit. Allein Arndís Hrönn Egilsdóttirs schauspielerische Leistung macht den Film sehenswert.

Gewissermaßen unterkühlt ist auch die Kameraführung (Mart Taniel). »Milchkrieg in Dalsmynni« zeigt Ingas Arbeit und eine karge Landschaft in langen Standeinstellungen. Regisseur Grímur Hákonarson arbeitet mit Andeutungen und ungewöhnlicher Fokussierung. Der Blick auf eine nächtliche Landstraße. Inga wird durch einen Anruf geweckt. Man ahnt, was geschehen ist, bevor sie im Leichenschauhaus eintrifft. Bei der Abstimmung, die über den Erfolg von Ingas Initiative entscheidet, sieht man nicht die Versammlung, sondern nur ihr Gesicht.

»Milchkrieg in Dalsmynni« ist keine Elfengeschichte von der Insel der Glückseligen, sondern ein sozialrealistisches Drama mit eher düsterer Grundstimmung auch jenseits der Auseinandersetzung Ingas mit dem Tod Reynirs und dem Teil in dessen Leben, von dem sie nichts wusste. Und ein Film, der wohl nur in einem Land entstehen konnte, in dem wenig krakeelt wird, auf den Generalstreik der Frauen 1975 aber ein vergleichsweise erfolgreicher Emanzipationsprozess folgte und das im 17-jährigen »Kabeljaukrieg« die britische Marine besiegte, ohne einen Schuss abzufeuern - in dem Ingas Widerstandsgeist und beharrliche Sturheit also eine Reihe von historischen Vorbildern haben.

Milchkrieg in Dalsmynni. Island/Dänemark/Deutschland/Frankreich 2019. Regie: Grímur Hákonarson; Darsteller: Arndís Hrönn Egilsdóttir, Hinrik Ólafsson, Sigurður Sigurjónsson. 92 Min.

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