Spielabbrüche sind programmiert

Fanvertreter warnen im Streit mit dem DFB und Dietmar Hopp vor einer weiteren Eskalation

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Michael Gabriel mag die Anrufe nicht mehr zählen, die ihn erreichen. »Sie sind bald dreistellig«, sagt der Leiter der Koordinierungsstelle Fanprojekte. Der Aufklärungsbedarf erscheint gewaltig, seitdem der Mehrheitseigner der TSG Hoffenheim, Dietmar Hopp, am Wochenende in einer konzertierten Aktion verschiedener Fangruppen angefeindet wurde. Fanexperte Gabriel betont, dass es sich selbstverständlich um eine »unangemessene Beleidigung von Herrn Hopp« gehandelt habe, »aber dies zu vermischen mit Diskriminierung oder sogar mit dem rassistischen Angriff in Hanau, verschiebt die Kategorien auf absolut unangemessene Weise«.

Denn im Kern kritisierten die Fans eine vom DFB-Sportgericht gegen Anhänger von Borussia Dortmund verhängte Strafe, zwei Jahre keine Spiele in Hoffenheim mehr besuchen zu dürfen. Bundesweit führte sich die Ultraszene aufgerufen, diese Kollektivstrafe zu bekämpfen, zumal ihnen der Milliardär als Symbol für Wettbewerbsverzerrung unter Umgehung der »50+1«-Regel gilt, die es Investoren unmöglich machen soll, zu viel Einfluss auf Vereine auszuüben.

Gabriel warnt nun davor, die Latte für Spielabbrüche vorschnell tiefer zu legen. Am Montag hat der FC Schalke 04 für das Pokalspiel gegen Bayern München an diesem Dienstag (20.45 Uhr/ARD) und für das Bundesligaspiel gegen Hoffenheim (Samstag) angekündigt, schon bei der ersten Beleidigung von den Rängen, das Spielfeld zu verlassen - »ungeachtet der Spieldauer, des Resultats oder etwaiger Konsequenzen«. Die Königsblauen berichteten von Gesprächen mit allen Fangruppierungen mit der Erwartung, dass diese solches Fehlverhalten nicht tolerieren, geschweige denn unterstützen, denn: »Die Werte unseres Vereins und des Leitbilds lassen keinerlei Spielraum für Toleranz angesichts von Hass, Intoleranz und Diffamierung.«

Fanexperten halten die Null-Toleranz-Strategie für falsch: Denn ihr fehle, wie es der Drei-Stufen-Plan der FIFA sonst vorsieht, eine Möglichkeit zur Intervention. Vor allem gebe es wenigen Unbelehrbaren die Macht, fast jederzeit einen Spielabbruch herbeizuführen. Gabriel appelliert an alle Beteiligten, »miteinander ins Gespräch zu kommen«. Es müsse im Interesse aller sein, »diese Spirale zu durchbrechen«.

Die mächtige Organisation ProFans sieht die Situation als »ziemlich verfahren« an. Es gebe »derzeit keinerlei Anzeichen, dass sich das befriedet. Das ist alles unerträglich - auch für uns«, sagt Sprecher Sig Zelt, Fan von Union Berlin.

Während Hoffenheims Mäzen Hopp jede Kommunikation mit Menschen ablehnt, »die gar keinen Konsens wollen«, kündigte Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge die Gründung einer »Anti-Hass-Kommission« an, die die Vorkommnisse aufarbeiten soll. »Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen«, so Rummenigge. Die Kommission soll auch eng mit der Polizei in Mannheim zusammenarbeiten. Offenbar hatten Münchner Fans die Protestbanner fein säuberlich getrennt in die Sinsheimer Arena geschleust und dort unbehelligt zusammengeflickt.

Ein Schatten ist auch auf den neuen DFB-Präsidenten Fritz Keller gefallen, der in seiner Rolle als Krisenmanager nicht überzeugt. Sein mitunter wirr anmutender Auftritt im ZDF-Sportstudio hat ihn viel Kredit bei Fans gekostet. Eine Gruppe aus der Münchner Südkurve beklagte am Montag: »Unabhängig von den Gründen unserer Abneigung und der derben Wortwahl, welche man nicht teilen muss, sind wir von den undifferenzierten und völlig überzogenen Reaktionen entsetzt.« Die Südkurve des FC Bayern hat in der Vergangenheit mehrmals mit eindrucksvollen Choreografien den ehemaligen Vereinspräsidenten Kurt Landauer gewürdigt, der wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten verfolgt worden war.

Keller hat über die Verbandshomepage eingeräumt, dass der in Sinsheim rigide befolgte Drei-Stufen-Plan in vergleichbaren Fällen nicht gegriffen habe: »Wir müssen selbstkritisch sagen, dass wir diese Möglichkeit der Reaktion vorher nicht konsequent genutzt haben.«

So wurde ein solcher Schutzstatus dem wegen einer Schwalbe im Dezember 2016 über Jahre als Hurensohn beschimpften Leipziger Stürmer Timo Werner nicht gewährt. Auch bei rassistischen Ausfällen wurde noch kein Bundesligaspiel abgebrochen.

Künftig dürfte nach den neuen Maßstäben der Fußballfunktionäre jedwede Beleidigung schlimmerer Form nicht mehr durchgehen. Weil es keinen Unterschied machen darf, wer diskriminiert wird. Nur könnte es sein, dass sich diese unbeugsame Haltung im bisweilen rauen Fußballalltag mit all seinen seltsamen Gewohnheiten nicht durchziehen lässt, ohne dass es reihenweise zu Abbrüchen kommt.

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