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Kinder müssen draußen bleiben

Um die Coronavirus-Pandemie einzudämmen, werden Schulen und Kitas dichtgemacht

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Zahl der bestätigten Coronavirus-Fälle steigt rasant. Am Sonntag meldete die Senatsgesundheitsverwaltung bereits 263 Infizierte (Stand: Sonnabend, 16.30 Uhr). Gegenüber dem vergangenen Mittwoch, als noch 58 Fälle gezählt wurden, hat sich die Zahl damit mehr als vervierfacht.

Am Freitag - die Zahl der bestätigten Fälle ist inzwischen auf 158 angestiegen - zog Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) schließlich die Reißleine. Hatte ihre Verwaltung zuvor tagelang herumlaviert, heißt es nun: Ab Dienstag, dem 17. März, werden alle Kitas und allgemeinbildenden Schulen der Hauptstadt bis einschließlich 17. April geschlossen. Schon diesen Montag sind die Oberstufenzentren dicht.

Betroffen von den Maßnahmen sind weit über 300 000 Kinder und Jugendliche, wobei nur bei rund 178 000 von ihnen eine Betreuung zu Hause zumindest theoretisch sichergestellt ist, weil mindestens ein Erziehungsberechtigter nicht arbeitet. Das geht aus Daten des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2018 hervor, die die Linksfraktion im Bundestag ausgewertet hat. Demnach stehen rund 151 000 Kinder bis 16 Jahre erst einmal ohne Betreuung da, weil beide Elternteile oder der alleinerziehende Teil Vollzeit arbeiten.

Für einen Teil der betroffenen Kita- und Grundschulkinder wird es eine Notbetreuung geben, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Die Eltern müssen in »systemrelevanten« Berufen arbeiten und eine »Selbsterklärung« abgeben, keine andere Kinderbetreuung organisieren zu können.

Wie die Senatskanzlei am Sonntagvormittag mitteilte, gelten als »systemrelevant« Beschäftigte bei Polizei und Feuerwehr, im Gesundheits- und im Pflegebereich. Darüber hinaus greift die Ausnahmeregelung bei Justizvollzugsbeamten, beim Krisenstabspersonal, beim »betriebsnotwendigem Personal« von BVG und S-Bahn, Müllabfuhr, Energieversorgern und Wasserbetrieben, Apotheken, Behörden, inklusive Jobcentern und Notdiensten, und schließlich dem »Personal, das die Notversorgung in Kita und Schule sichert«.

Genau dieser Punkt - die Notversorgung selbst - hatte ab Freitag den Eindruck des kopflosen Herumwurstelns verstärkt. Hatte die Bildungsverwaltung zunächst angekündigt, man werde den Fokus der Notfallversorgung auf einige wenige Kindertagesstätten legen, die etwa in der Nähe von Krankenhäusern liegen, steuert Sandra Scheeres am Sonnabend um. Nun heißt es: Die Notbetreuung »findet grundsätzlich in der vertrauten Kita statt«. Wie die Senatorin erklärt, habe ihr Haus »dabei die neuen Einschätzungen von Professor Dr. Christian Drosten berücksichtigt« und »Anregungen der Kita-Träger aus der täglichen Praxis« aufgenommen. Tatsächlich hatte der Virologe und Charité-Professor Drosten zuvor auf Twitter deutlich gemacht, dass er die angedachte Notbetreuung »in neu zusammengestellten Gruppen und konzentriert in ausgesuchten Einrichtungen« für »kontraproduktiv« hält: »Hierdurch entstehen neue primäre und sekundäre Kontaktnetzwerke (Eltern). Die Infektion wird dadurch befeuert.« Der Tweet wird von der Bildungsverwaltung am Sonnabend nahezu wortgleich als Erklärung für die geänderte Regelung übernommen.

Vollkommen vage bleiben derweil die offiziellen Aussagen, wie in den ab Dienstag geschlossenen Schulen die Fortführung des Unterrichts gewährleistet werden soll. Jede Schule erarbeitet momentan eigene Pläne. An einigen werden an diesem Montag Lernumschläge mit dem entsprechenden Unterrichtsmaterial für die nächsten Wochen ausgegeben, an anderen Schulen soll der zu erarbeitende Stoff per E-Mail übermittelt werden, wieder andere überlegen, auf spezielle Apps zurückzugreifen.

Klar ist indes, dass sich die Schulleitungen, Lehrkräfte und das pädagogische Personal »bis auf weiteres« an den Schulen einzufinden haben. Auch alle abschlussrelevanten Prüfungen sollen planmäßig durchgezogen werden. Schließlich wolle man »sicherstellen, dass Schüler und Schülerinnen keine Nachteile für ihren weiteren Bildungsweg haben«, so Senatorin Scheeres.

Eben das befürchtet die Bundesschülerkonferenz, die am Sonnabend darauf verwies, dass nicht in allen Bundesländern digitale und datenschutzrechtlich konforme Angebote »vorgesehen, etabliert und getestet« sind. In Berlin und Brandenburg, das in Sachen Digitalisierung der Schulen nicht unbedingt zu den Spitzenreitern gehören, könnte das zum Problem werden.

Denn auch in Brandenburg sollen die Schulen und Kitas ab Mittwoch den regulären Unterricht und die normale Betreuung bis zum Ende der Osterferien am 19. April vorerst einstellen. Die Schüler könnten auch schon ab diesem Montag zu Hause bleiben, so das Bildungsministerium. Für diesen Fall werden die Eltern gebeten, die Schule darüber zu informieren. Für Schüler soll, so heißt es, freiwilliger Unterricht über das Internet angeboten werden. Auch hier ist für Kita- und Grundschulkinder eine Notfallbetreuung geplant, sofern deren Eltern in »systemrelevanten« Berufen arbeiten.

In Brandenburg war die Zahl der bestätigten Coronavirus-Infektionen bis Sonnabendnachmittag auf 61 gestiegen, 19 mehr als am Vortag.

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