Und plötzlich geht das Licht an

Die Fußballbranche will Lehren aus der Corona-Krise ziehen. Doch es sieht nicht danach aus, findet Christoph Ruf

Man kann sich gut vorstellen, wie sich die Profivereine gefühlt haben, als die Erklärung der »Fanszenen Deutschlands« publik wurde, in der sich über 70 Ultragruppen gegen einen Wiederbeginn am 9. Mai ausgesprochen haben. In etwa so wie der Teenager, der sich nachts aus dem elterlichen Haus schleicht, über die knarzende Diele, vorbei am schlafenden Baby, den knackenden Treppenstufen und dem hyperaktiven Familienhund. Und der schon die Hand am Türgriff hat, als plötzlich das Licht im Haus angeht. Und jemand ganz laut seinen Namen ruft.

Ob die Profis durch die Tür kommen oder nicht - und hier endet die Parallele zum ertappten Teenager - ist noch nicht abschließend geklärt. Doch seit der Erklärung der Fans ist eine Diskussion entbrannt, die der offizielle Fußball lieber nicht geführt hätte. Und die er fast auch nicht hätte führen müssen, schließlich waren in den Tagen zuvor alle die Vereinsvertreter eingenordet worden, die vom offiziellen Kurs abgewichen waren, wonach man keinesfalls Extrawürste fordere, wohl aber im Mai wieder spielen müsse, weil es um die Existenz der Vereine gehe. Und um 56 000 Arbeitsplätze.

Und während so mancher noch am Taschenrechner saß und darüber staunte, dass die Vereine vom FC Bayern bis zum SV Sandhausen im Durchschnitt doch tatsächlich 1556 Menschen beschäftigen, machten die Fans eine ganz andere Rechnung auf: »36 Konzerne« seien am Werk, die eine Sonderbehandlung gegenüber allen anderen Ligen und Sportarten forderten, um ein Geschäftsmodell weiterführen zu können, das dafür sorgt, dass jeder Euro sofort wieder in horrend hohe Spielergehälter gesteckt werde. »Ein System, in das in den letzten Jahren Geldsummen jenseits der Vorstellungskraft vieler Menschen geflossen sind, steht innerhalb eines Monats vor dem Kollaps«, schreiben sie. Und empfehlen ein Innehalten. »Die Frage, weshalb es trotz aller Millionen keinerlei Nachhaltigkeit im Profifußball zu geben scheint, wie die Strukturen und Vereine in Zukunft robuster und krisensicherer gemacht werden können«, solle im Sommer auf der Agenda stehen.

Nun meine ich zu wissen, dass es auch in der ersten Liga Klubvertreter gab, die sich aufrichtig über die Fans geärgert haben. Also nicht, weil sie ihre Pläne konterkariert sahen, sondern, weil sie ihre tägliche Arbeit falsch beschrieben fanden. Man sei kein seelenloser Konzern, heißt es, in der Branche gäbe es durchaus die Bereitschaft umzudenken, künftig würden die Vereine besser dastehen, die in der Vergangenheit Rücklagen gebildet hätten. Und nicht die, die auf Pump gelebt hätten.

Zweifel sind erlaubt. Denn die Stimmen, die »weniger ist mehr« predigen (und damit letztlich genau das Gleiche sagen wie die Fans), sind entweder zu leise oder sie äußern sich nicht öffentlich, woran sich die Frage anschließt, warum diejenigen, die im Fußball mal über den Tag hinaus denken, sich immer aus Prinzip »off the records« äußern, also nur vertraulich, während die anderen lautstark von morgens bis abends auf Sendung sind. Das ist kontraproduktiv, denn so graben sich ins kollektive Gedächtnis vor allem die Beispiele ein, die daraufhin deuten, dass sich nichts, aber auch gar nichts ändern wird, wenn man den Profifußball wieder von der Leine lässt.

Da wäre der Torwart beim Erstligisten, der in den kommenden fünf Jahren offenbar 100 Millionen Euro verdienen will - ohne Prämien, versteht sich. Der in diesen Tagen darüber verhandelt und den an dem ganzen Setting nur eine Sache stört: dass Details aus den Verhandlungen publik wurden. Da wäre der Zweitligist Karlsruher SC, der sich gerade für mindestens 140 Millionen Euro vom Steuerzahler ein Stadion vorfinanzieren lässt - und Jahr für Jahr so schlecht wirtschaftet, dass er jetzt wohl eine Planinsolvenz anmelden muss.

Da wäre der Drittligist aus Kaiserslautern, bei dem die öffentliche Hand auch einmal damit gerechnet hatte, dass er sich an Verträge halten würde, nach all den zig Millionen Steuergeldern, mit denen ihm immer wieder der Hintern gerettet wurde. Und der die Kommune in der vergangenen Woche schriftlich darüber in Kenntnis setzte, dass er die gerade zum x-ten Mal gekürzte Stadionpacht einstweilen nicht überweisen wird.

Zu gerne würde man glauben, dass die Branche tatsächlich aus der Krise lernen wird. Doch wie soll das gehen, so lange es noch so viele Vereine gibt, die erstmal bestreiten würden, dass es überhaupt ein Problem gibt?

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