Exponentielles Wachstum

Die Heuschreckenplage in Ostafrika wird schlimmer / Coronakrise erschwert Bekämpfung

  • Christian Mihatsch
  • Lesedauer: 4 Min.

Wegen der Coronakrise sind die meisten Menschen mittlerweile mit exponentiellem Wachstum vertraut. Dennoch erstaunen die Zahlen von der anhaltenden Heuschreckenplage in Ostafrika. Nach der ersten Welle im Februar kommt nun eine zweite - und diese ist 20 Mal größer. Für Juni wird dann die dritte Welle erwartet, die dann 400 Mal größer sein könnte als im Februar. Das entspricht einer Verdoppelung alle zwei Wochen.

Die Zahl der Wüstenheuschrecken wächst allerdings nicht von Tag zu Tag, sondern steigt alle zwei Monate, wenn die nächste Generation schlüpft, um den Faktor 20 an. Die Tiere haben nicht nur eine beachtliche Reproduktionsrate, sondern auch mächtig Hunger. Ein Schwarm mit einer Größe von einem Quadratkilometer braucht jeden Tag so viele Nahrungsmittel wie 35 000 Menschen. In Kenia gibt es derzeit einen Schwarm, der 2400 Quadratkilometer groß ist. Dieser hat demnach den Nahrungsbedarf von 8,4 Millionen Menschen.

Schon die erste Welle im Februar galt als schwerste Heuschreckenplage seit 70 Jahren. Aktuell erstreckt sie sich von Ostafrika über die Arabische Halbinsel bis nach Iran und Pakistan. Besonders betroffen sind Kenia, Äthiopien und Somalia, wie die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) mitteilt. Wie die Situation im Jemen aussieht, ist mangels Daten unklar, aber »wahrscheinlich verschlechtert sie sich«. Laut FAO sind über 20 Millionen Menschen von Hunger bedroht, und auf einer Fläche von 10 000 Quadratkilometern sind dringend Maßnahmen zur Bekämpfung der Heuschrecken erforderlich. Dafür werden große Mengen an Pestiziden und Sprühflugzeuge gebraucht.

Doch die Anstrengungen der FAO werden durch die Coronakrise erschwert, sagt der FAO-Verantwortliche Cyril Ferrand: »Die größte Herausforderung im Moment ist die Bereitstellung von Pestiziden, doch wir sehen Verzögerungen, weil die globale Luftfracht signifikant reduziert ist.« Absolute Priorität sei es, einen Kollaps der Pestizidlager in den Ländern zu verhindern. »Das hätte dramatische Folgen für die Menschen, deren Nahrungsmittelsicherheit vom Erfolg unserer Kampagne abhängt.«

Die aktuelle Krise ist eine Folge des Jemen-Kriegs und mehrerer schwerer Stürme. Im Mai 2018 brachte der Zyklon »Mekunu« Regen in die Rub-al-Chali-Wüste an der Grenze zwischen Saudi-Arabien, Oman und Jemen. Im feuchten Sand hatten die dort lebenden Heuschrecken dann optimale Brutbedingungen. Das wäre nicht weiter problematisch gewesen, wenn nicht im Oktober 2018 der Zyklon »Luban« wieder Regen gebracht hätte. Daher blieben die Bedingungen günstig für eine weitere Brutgeneration, wie Keith Cressman, FAO-Experte für Heuschreckenvorhersage erläutert. »Statt um das 400-Fache stieg die Zahl der Tiere um das 8000-Fache.«

Zudem wurde die Bekämpfung der Heuschrecken durch den Krieg erschwert. Der Chef des jemenitischen Heuschreckenprogramms, Adel al-Shaibani, sitzt in der von Huthi-Rebellen kontrollierten Hauptstadt Sana’a. Gegenüber der britischen Zeitung »The Guardian« sagte er: »Vor dem Krieg konnten wir ganz Jemen gut erreichen.« Doch das habe sich geändert. Trotz aller Anstrengungen seien einige Gebiete an der Grenze zu Saudi-Arabien außerhalb der Kon-trolle der Behörden geblieben. »Dort formten sich Heuschreckenschwärme und bewegten sich dann in andere Gebiete.« Ende vergangenen Jahres erreichten die Tiere, die bis zu 150 Kilometer pro Tag zurücklegen können, dann das Horn von Afrika. Zu dieser Zeit sorgte dann Zyklon »Pawan« in Somalia wiederum für optimale Brutbedingungen.

Die ungewöhnlich vielen Zyklone und großen Regenmengen in der Region sind Folge eines Phänomens, das dem El Niño im Pazifik gleicht: dem »Indischer-Ozean-Dipol« (IOD), einer Anomalie, bei der das Wasser an Afrikas Ostküste besonders warm und in Australien besonders kalt ist. Das sorgt für Regen in Ostafrika sowie Dürre und Waldbrände in Australien.

Das Auftreten des IOD-Phänomens ist auch eine Folge der Klimaerwärmung, sagt Caroline Lukas vom Meeresforschungsinstitut in Woods Hole (USA). »Klimamodelle deuten eine Tendenz an, dass solche Ereignisse häufiger und stärker werden.« Das wiederum erschwert die Arbeit von Cressman bei der FAO. »Die Vorhersage-Methodik hat bis vor fünf Jahren ziemlich gut funktioniert - jetzt funktioniert sie gar nicht mehr gut.«

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