Am dritten Tag geschah kein Wunder

Kampfstern Corona (Teil 13): stayathome hätte mehr Power, wenn es seine Selbstgerechtigkeit überwinden würde

  • Julia Wycisk
  • Lesedauer: 4 Min.

Derzeit kommt kein stayat-home-Jogginghosen-Selfie ohne das Kommando aus, doch bitte verdammt noch mal zu Hause zu bleiben. Der Hashtag steht für: Kurve abflachen, das Gesundheitssystem vorm Kollaps bewahren und die Personen schützen, denen das Virus durch Vorerkrankungen zum Verhängnis werden kann. Wichtig, solidarisch und offensichtlich notwendig - solange niemandem etwas Sinnvolleres einfällt. Warum kann ein gut gemeinter Hashtag, der Gemeinschaftsgefühl erzeugen soll, dann aber mal wieder nicht ohne Überwachen-und-strafen- bzw. Platzwartmentalität auskommen?

Weit entfernt scheint die Zeit, als kaum eine*r etwas mit diesem Coronavirus anzufangen wusste. Doch dann wurden plötzlich aus Virusskeptiker*innen - wenige Google-Eskapaden später - flammende stay-athome-Kreuzritter*innen. Sich dem neuesten Informationsstand anpassen und schnell reagieren, das klingt nach einer guten Strategie. Doch der mittlerweile zu einem cholerischen Onkel angeschwollene Hashtag staythefuckathome erzählt eine ganz andere Geschichte und wird wie ein Schwert gegen die Ungläubigen gezückt - zu denen die Ritter*innen noch vor zwei Tagen selbst gehörten. Bei so viel Wankelmütigkeit kann einem schon mal schwindlig werden. Und das bei allem Verständnis dafür, dass Wissenschaft, Politik und nicht zuletzt auch die alarmierenden Newsticker die Öffentlichkeit regelrecht Emotionsachterbahn fahren lassen.

Mit Hashtags verschlagworten wir Ideen und verstärken ihre Auffindbar- und Teilbarkeit in sozialen Netzwerken. Was einmal als Werkzeug zur Bildung von »Corporate Identities« gedacht war, ist im Idealfall der Startpunkt für sich langfristig entwickelnde Diskussionen, siehe timesup oder natürlich metoo, die beide sexualisierte Gewalt unwiderruflich auf die Agenda gesetzt haben.

An welchem Punkt ist stayathome also zu dem selbstgerechten Monstrum geworden? Die Art, wie stayathome verwendet wird, demonstriert, wie schwer es der Gesellschaft fällt, die Orientierung im Unkontrollierbaren zu wahren, ohne direkt eine Identitätsnummer daraus zu machen. Bei manch einer Person bekommt man beinahe das Gefühl, sie bleibe nur zu Hause, um andere dahingehend maßregeln zu können. Wann hat es so etwas schon gegeben? Endlich moralisches Oberwasser gewinnen, indem man auf der Couch sitzen bleibt. Nachbar*innen gehen zu dritt anstatt zu zweit in den Park? Fix das Ordnungsamt anrufen! Denn: Stay at home!

In seinen dunkelsten Momenten macht stayathome weder darauf aufmerksam, dass nicht alle Menschen ein Zuhause zum Dableiben haben, noch sieht es die existenziellen Nöte heimischer Pflegearbeit für Kranke und Ältere oder der Betroffenen häuslicher Gewalt - Kollateralschäden. Sollte dieser vermaledeite Hashtag allerdings genau jene zum Durchhalten ermuntern, denen es gerade zu Hause nicht gut ergeht, wird er wichtig: Wenn er kombiniert mit anderen Schlagwörtern Sichtbarkeit schafft und Möglichkeiten der Unterstützung und Vernetzung aufzeigt. Wenn Menschen sich dadurch weniger alleine fühlen und schlichtweg überleben. Dann hat ein Hashtag Power, und stayathome verliert all die unnötige Bigotterie.

Die Corona-Pandemie wird in ihren Sternstunden als möglicher Beginn einer neuen, sensibleren und genügsameren Ära beschrieben. Es könnte zum Beispiel endlich Zeit werden, den dominanten Narrativen des neoliberalen Leistungszwangs à la coronaproductivity ein für alle Mal Adieu zu sagen. Oder uns solidarisch in stayathome-Distanz zu üben, ohne ein kritisches Auge für staatliche Kontrolle zu verlieren. Denn das eine schließt das andere nicht aus - und macht niemanden zum*r Coronaleugner*in. Im Gegenteil: Es wird stayathome gerecht. Im Herzen ist dieser Hashtag Revolutionärin und ganz sicher keine Befürworterin von Law and Order. Weder durch Staatsgewalt noch durch irgendeine selbstgerechte Einzelperson on- oder offline. Wie sehnsüchtig müssen manche auf Kontrolle gewartet haben, wenn sie diese so manisch annehmen und beinahe lustvoll über andere ausüben?

Momentan überwiegt die Enttäuschung über die gefallene Revolutionärin. Wer schon vorher nicht an Wunder geglaubt hat, wird auch dieses Jahr keine Überraschung erleben. Die stayathome-Welle schien kurz glaubhaft zu machen, eine deutsche Bürgerlichkeit zu Respekt vor Schutzlosen, von Gewalt Betroffenen und Lohnarbeiter*innen bekehrt zu haben. Menschen, die alle selbstlos an einem Strang ziehen - und zwar aus Nächstenliebe und zum Schutz von Marginalisierten? Was für eine sanfte Welt das wäre.

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