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- Wolfgang Beckers letzter Film
»Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße«: Verführung Rampenlicht
Wolfgang Becker zeigt in seinem letzten Film »Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße«, dass das Ostklischee nicht totzukriegen ist
Hätte nicht Wolfgang Becker den Film gemacht, wäre »Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße« wohl vom Rezensenten übergangen worden. Bereits der Titel klingt schließlich wie eine dieser DDR-Schmonzetten, in denen finstere Stasi-Schergen durch graue Straßen schleichen und mutige Bürger terrorisieren, die nichts anderes wollen als »Freiheit«. Merke: Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif – wie rein zufällig auch ein aktueller Werbeslogan der Bundeswehr lautet. »Das Leben der Anderen« hat 2006 die bis heute gültigen Maßstäbe für dieses Genre gesetzt. Die gleichnamige Buchvorlage stammt von Maxim Leo, der 2010 mit »Haltet euer Herz bereit« seine ostdeutsche Familiengeschichte literarisch tiefgründig verarbeitete, seitdem aber eher leichte Kost fabriziert.
Nun ist Wolfgang Becker freilich nicht irgendwer, sondern der Autor und Regisseur solch im kollektiven Gedächtnis haften gebliebener Filme wie »Das Leben ist eine Baustelle« (1997) und vor allem »Good Bye, Lenin« von 2003. Während er in ersterem kongenial die Post-Wende-Depression im wiedervereinigten Berlin beschrieb, war »Good Bye, Lenin« mit über sechs Millionen Besuchern allein in Deutschland ein regelrechter Meilenstein der DDR-Bewältigung im Kino. Mit seiner empathischen, in Ost und West gleichermaßen geliebten, auch international enorm erfolgreichen Geschichte einer systemtreuen Lehrerin, die Ende 1989 ins Koma fällt, den Mauerfall verschläft und nach ihrem Erwachen von ihrem Sohn aus Gründen der Schonung in der Illusion gehalten wird, sie lebe nach wie vor in der alten DDR, gelang Becker der seltene Spagat der Versöhnung von Arthouse-Kino mit einem Massenpublikum.
Natürlich muss sich ein Film wie »Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße« auch daran messen lassen, wie mit der Erinnerung an die DDR umgegangen wird.
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Der Ende 2024 verstorbene Becker hat als Regisseur überhaupt nur eine Handvoll Spielfilme hinterlassen; er war bekannt dafür, auf Qualität statt Quantität zu setzen und sich viel Zeit für die Entwicklung seiner Projekte zu nehmen. Mit seinem vorletzten Film »Ich und Kaminski« konnte er allerdings nicht an alte Erfolge anknüpfen.
Ob es mit »Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße« klappt? Es überwiegen Zweifel. Vom Verleih angekündigt als »herzenswarme Komödie« und »vergnügliches Lehrstück«, erwartet den Zuschauer eine recht simple Geschichte mit all den Versatzstücken, welche die tradierte deutsche Komödie so aufzubieten hat. Da ist der titelgebende Held Micha, gespielt von Charly Hübner, Inhaber der letzten Videothek im Prenzlauer Berg. Die Zeiten sind über ihn hinweggegangen, mühsam hält er sich über Wasser und kämpft gegen das drohende Dasein als Versager an. Sein »bigger than life«-Moment kommt in Gestalt eines karikaturhaft sensationsgierigen Reporters eines Nachrichtenmagazins – auch das spätestens seit »Schtonk« (Helmut Dietl, 1992) ein Stereotyp aus der Rumpelkammer des Films. Anlässlich des 30. Mauerfalljubiläums konfrontiert der Journalist (Leon Ullrich) den Helden in spe mit der vermeintlichen Tatsache, dieser sei als ehemaliger Reichsbahner dank einer absichtlich falsch gestellten Weiche Drahtzieher der größten Massenflucht aus der DDR und damit ein Held gewesen.
Micha weiß selbst am besten, dass an der Geschichte fast nichts stimmt, aber die süße Verführung des Rampenlichts (und des Geldes) ist stärker als die Vernunft, und so wird er zum Hochstapler (fast) wider Willen, inklusive Talkshowauftritt, Dinner beim Bundespräsidenten, Werbevertrag und als Höhepunkt gar einer Rede vor dem Bundestag, die dann aber doch nicht stattfindet.
Eine Frau kommt ins Spiel (Christiane Paul), und um sie zu gewinnen, wird der Held am Ende über sich hinauswachsen und das Geflecht aus Lügen und Halbwahrheiten wieder zurechtrücken. Das Ganze ist so vorhersehbar wie klischeehaft, wenn auch gekonnt inszeniert. Die Pointen sind wohl platziert, und doch will die Chose nicht so recht zünden. Das liegt keineswegs an der durchweg überragenden Besetzung. Neben dem »Helden« Charly Hübner als Verkörperung von Bodenständigkeit hat Becker die Schauspieler all seiner Filme noch einmal um sich versammelt; Jürgen Vogel und Christiane Paul ebenso wie Daniel Brühl und andere. Die Lieblingsfigur des Rezensenten ist allerdings Thorsten Merten als verbitterter und vollbärtiger Bürgerrechtler Harald Wischnewsky, der nicht mit ansehen will, wie ein dahergelaufener »Held« all die Lorbeeren erntet, die er in jahrzehntelanger Kleinarbeit gesät hat. Um das zu verhindern, verbündet er sich gar mit dem Teufel in Gestalt des ehemaligen Stasi-Offiziers, der ihn einst überwacht hat (Peter Kurth).
Natürlich muss sich ein Film wie »Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße« auch daran messen lassen, wie mit der Erinnerung an die DDR umgegangen wird. Die Empfindlichkeiten sind nach wie vor groß, und es lässt sich gar nicht genug würdigen, dass die Debatte in den letzten Jahren so zahlreiche neue (auch filmische) Impulse erhalten hat und ein breit angelegter Diskurs die Umbrucherfahrungen der Menschen neu bewertet und von tradierten Klischees und Vorurteilen befreit. Hierzu hat der Film leider wenig beizutragen; repetiert werden die alten Abziehbilder und Stereotypen. Sätze wie der des Journalisten zum »Helden« in Vorbereitung auf den Talkshowauftritt: »Erzählen Sie vom Kindergarten; Sie mussten doch bestimmt immer Panzer malen und russische Lieder singen«, könnte man mit etwas gutem Willen als Ironie deuten. Aber für eine wirklich ironische Brechung der alten westdeutsch konnotierten Denkschablonen fehlt wiederum die satirische Überspitzung, sodass der Eindruck haften bleibt, dass hier dem Publikum das alte ungebrochene Lied von der DDR als finsterem Hort des Bösen angeboten wird. Da kann auch ein Kurzauftritt von Katarina Witt nichts retten.
Wolfgang Becker ist kurz nach den Dreharbeiten gestorben, fertiggestellt haben den Film seine Kollegen von X-Filme, der einst legendären Produktionsfirma, die er selbst 1994 mit Tom Tykwer und Dani Levy gegründet hat. Beckers Gespür für Montage und genaues Timing scheint dabei auf der Strecke geblieben zu sein. Der Rhythmus des Films stimmt nicht, die Geschichte wirkt zu überladen, manche Handlungsstränge wie die zarte Liebesgeschichte zwischen dem »Helden« und Christiane Paul sind quälend überstrapaziert. Trotz unterhaltsamer Passagen und pointierter Dialoge ergeben die Einzelteile nicht das große Ganze, das Becker wohl im Sinn gehabt hat, aber nicht mehr selbst vollenden konnte.
»Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße«: Deutschland 2025. Regie: Wolfgang Becker. Mit: Charly Hübner, Christiane Paul, Leonie Benesch. 112 Minuten. Start: 11. Dezember.
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