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Teure Kredite statt effektiver Unterstützung

Das Notprogramm für Studierende könnte zur Schuldenfalle werden

  • Susanne Romanowski
  • Lesedauer: 5 Min.

Kellnern im Café, Aushelfen im Einzelhandel: Viele Jobs, mit denen Studierende sich finanzierten, sind wegen der Pandemie weggebrochen. Auch elterliche Unterstützung könnte bei Kurzarbeit knapper ausfallen.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) stellte deshalb Ende April zwei Notfallmaßnahmen für Studierende vor: Nun ist es möglich, den Studienkredit der staatlichen »Kreditanstalt für Wiederaufbau« (KfW) unter günstigeren Konditionen als sonst aufzunehmen. Damit erhalten Studierende monatlich zwischen 100 und 650 Euro. Das Darlehen ist bis März 2021 zinsfrei und kann jetzt auch von Ausländer*innen beantragt werden. Außerdem erhält das Deutsche Studentenwerk einen Zuschuss von 100 Millionen Euro, der auf die Notfonds der Studierendenwerke verteilt werden soll. Doch wie hilfreich sind die Maßnahmen wirklich?

Den Kredit nennt Leonie Ackermann vom »freien zusammenschlusses von student*innenschaften e.V.« (fzs) eine »Schuldenfalle«. Tatsächlich ist das Angebot am Ende ernüchternd: Normalerweise werden die Zinsen von den monatlichen Auszahlungen abgezogen. Statt 650 Euro werden dann – bei einem aktuellen Jahreszins von 4,27 Prozent – zunächst 647 Euro überwiesen. Der Zinssatz bezieht sich immer auf die ganze Kreditsumme. Kurz nach Aufnahme des Kredits fallen also nur geringe Zinsen an, die aber stetig zunehmen. Es sind gerade die ersten Zinsen, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis Ende März 2021 übernimmt. Berechnungen des Landes-ASten-Treffens NRW (LAT NRW) zeigen, dass Studierende so höchstens 152,65 Euro sparen.

Kleine Ersparnis, hohe Schulden

Danach müssten Studierende selbst zahlen. Schon in der Karenzphase, der Zeit zwischen der letzten Auszahlung und der ersten Rückzahlungsrate, würden dann monatlich Zinsen auf die gesamte Kreditsumme fällig. Diese Phase dauert zwischen 6 und 18 Monaten; ein sofortiges Abzahlen ist nicht möglich.

In je kleineren Raten man den Kredit abstottert, desto länger zahlt man also Zinsen. Das LAT NRW schätzt diese, auch bei recht schneller Rückzahlung, auf mehrere tausend Euro. Der Kredit belastet diejenigen in großer finanzieller Not besonders lange und stark. Dadurch ergibt sich ein weiteres Problem: Studierende dürfen wöchentlich nur 20 Stunden arbeiten. Viele sind darauf angewiesen, um ihre laufenden Kosten zu decken. Um den Kredit schneller tilgen zu können, müssten Studierende aber mehr verdienen als erlaubt. Zwar könnten sie bei der KfW einen Zinsaufschub beantragen. Den bekommen sie aber nur, wenn sie Nachweise über erbrachte Studienleistungen erbringen. Für prekär lebende Studierende wird die Entscheidung zwischen Studium und Job so zum Dilemma.

Schon vor Corona war der Kredit unbeliebt. 2019 nahmen ihn noch 83 000 Personen in Anspruch. Insgesamt ist die Aufnahme neuer Studienkredite – von denen der der KfW den größten Anteil ausmacht – in den letzten fünf Jahren um ein Drittel zurückgegangen, meldet das Centrum für Hochschulentwicklung. Denkbar sei, dass Studierende lieber mehr arbeiten, als sich zu verschulden.

Warum also zieht das einzige Instrument, das Studierende derzeit finanziell entlasten könnte, potenziell langfristige Geldsorgen mit sich? Karliczeks Vorschlag stieß bei der Opposition und bei Parteikolleg*innen in den Ländern auch darum auf Unverständnis, weil diese eigentlich eine andere Maßnahme forderten: die zumindest kurzfristige Öffnung des BAföG für alle, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Anders als der Studienkredit ist die BAföG-Rückzahlung tatsächlich zinsfrei und auf 10 000 Euro gedeckelt. Karliczek entschied sich dagegen, auch, um »Mitnahmeeffekte« zu minimieren. BAföG solle auf die beschränkt werden, die »wirklich Not leiden«. Ausländische Studierende oder solche, die ihre Regelstudienzeit überschritten haben, weil sie neben dem Studium arbeiten mussten, bekommen unabhängig von ihrer Not jedoch meist kein BAföG.

Auch durch Karliczeks frühere Maßnahmen haben längst nicht alle Anspruch auf BAföG bekommen, die es bräuchten. Die Gesetzesnovelle letztes Jahr sollte dem Trend entgegenwirken, dass immer weniger Studierende BAföG beziehen. Dadurch, dass die Einkommensfreibeträge lange nicht an die Inflation angepasst wurden, bekamen viele Studierende zuletzt trotz steigender Lebenshaltungskosten keine Hilfen. In der Novelle wurde deshalb eine schrittweise Erhöhung des Förderhöchstbetrags auf 861 Euro festgelegt, der Wohnkostenzuschlag stieg von 250 auf 325 Euro; ein Preis, für den sich in vielen Städten kaum ein WG-Zimmer findet. Die Opposition kritisierte, die Förderung ginge an der Lebensrealität Studierender vorbei.

Zwang zu Alleingängen

Der Zuschuss von 100 Millionen Euro für die Nothilfefonds der Studierendenwerke, wird grundsätzlich begrüßt. Bloß fällt dieser nach Ansicht des fzs zu spärlich aus. Mehr Geld wäre nämlich da: Selbst das BMBF musste sich in einem ersten Fazit zur BAföG-Novelle eingestehen, dass 2019 nur zwei Drittel der BAföG-Mittel abgerufen wurden. Karliczeks beschworene Trendwende blieb aus, in Berlin sank der Anteil der Empfänger*innen von August 2019 bis Januar 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat um fünf bis sieben Prozent. Dieser Überschuss von rund 800 Millionen Euro soll laut Karliczek nun für einen möglichen Anstieg von BAföG-Anträgen bereitstehen. Der fzs sähe diesen Betrag lieber direkt in den Notfonds.

Wann genau und wie die 100 Millionen Euro auf die Studierendenwerke verteilt werden, ist noch unklar. »Wir sitzen dran«, sagte der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, dem »nd« . Er geht davon aus, dass das die Entscheidung bis Anfang nächster Woche fällt.

Jana Judisch, Sprecherin des Studierendenwerks Berlin, erlebt eine massive Zunahme von Anfragen verzweifelter Studierender. »Wir warten so gespannt auf die Hilfen wie sie«, sagte sie. Die Berliner Universität der Künste (UdK) wollte nicht auf den Staat warten. Der Freundeskreis der Uni hat über 18 000 Euro Spenden gesammelt. Davon wurden bisher 44 Studierende unterstützt. Die Universität hatte schnell handeln wollen. »Etwa ein Drittel unserer Studierender hat einen internationalen Hintergrund«, so Claudia Assmann, Sprecherin der UdK, »die fallen oft durchs Förderraster«. Über die Spendenaktion sagte sie: »Wir wären froh, wenn wir es nicht machen müssten; wir sind froh, dass wir es machen können«.

Solange sich kein Umschwung abzeichnet, könnten solche Aktionen nötig bleiben. Die Sorge vor vermeintlichen Nutznießenden scheint für das Bildungsministerium größer zu sein als die, dass Studierende in zunehmend prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen abrutschen. Dass Karliczek den BAföG-Überschuss lieber für einen potenziellen und eher unwahrscheinlichen Ansturm auf die BAföG-Ämter einsetzen möchte als für eine aktuelle Notlage, muss vielen Studierenden zynisch erscheinen.

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