Wie kommen Männer durch die Krise?

Jeja Klein wirft einen Blick auf eine in der Coronabetrachtung unterrepräsentierte Gruppe

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 4 Min.

Unterbezahlte Krankenpfleger*innen, Homeschooling-Mütter, Drogenabhängige, zuletzt auch Depressive: viel ist in den letzten Wochen darüber geredet worden, wie spezifisch einzelne gesellschaftliche Gruppen unter der Coronakrise leiden, und was politisch zu tun wäre, damit es ihnen besser geht. Eine sehr wichtige Gruppe findet dabei jedoch allem Anschein nach keine Erwähnung. Es sind: Männer.

Demokratie lebt von Repräsentation. Die Lebensbedingungen der Einzelnen können nur dann gezielt von der Politik verbessert werden, wenn sie mit ihren Problemen auch öffentliches Gehör finden. Männer sind in diesem Diskurs jedoch gefährlich unterrepräsentiert. Die Konsequenzen reichen von stiller, nach innen gekehrter Wut bis zum Gefühl, schon wieder einfach nicht so wichtig zu sein. Männer müssen mit ansehen, wie sich selbst die große Politik um alle um sie herum kümmert, nur nicht um sie. Zum Beispiel machen sich gerade viele Leute große Sorgen um die ansteigenden Zahlen häuslicher Gewalt gegen Frauen.

Wenn man, was ungewohnt ist, genau hinsieht, wird ziemlich schnell deutlich, dass Männer auf ihre unverkennbar eigene Weise unter der Coronakrise leiden. Schon die Maskenpflicht beim Einkaufen und im Bus hat viele stark verunsichert und überfordert. Frauen und andere Geschlechter sieht man im Supermarkt souverän selbst genähte Masken mit Nasenbügel tragen, sie machen daraus eine Mode.

Männer hingegen trifft man häufig mit behelfsmäßig ums Gesicht gewickelten, verrutschenden Schals. Andere wiederum verfallen in archaische Verhaltensmuster, die sich evolutionspsychologisch erklären lassen. Ihr Körper nimmt die Coronakrise wie eine Bedrohung durch ein wildes Tier oder wie Krieg wahr. Deshalb neigen sie dazu, sich wie Sondereinsatzkräfte oder RAF-Terroristen mit Sturmmasken zu vermummen. Die sind zwar zu dünn, um beim Husten effektiv Viren aufzuhalten. Für Männer ergibt das jedoch trotzdem Sinn: Sie schüchtern andere Menschen ein und verschaffen so ein Gefühl von Sicherheit.

Männer suchen sich in Zeiten der Unsicherheit neue Anführer, wenn sie die alten nicht mehr für ausreichend stark halten. Und während Frauen mit der Erziehung von Kindern oder dem Putzen beschäftigt sind, neigen Männer zu Langeweile. Beides zusammen führt dazu, dass sich viele von ihnen im Internet Videos vom Verschwörungspapst Ken Jebsen, dem Müslikrieger Attila Hildmann oder dem Gefühlsmann Xavier Naidoo ansehen. Hinter der grotesken Fassade so mancher Querfrontdemo, zu der sich diese Männer dann versammeln, kann man aber die Masse an vereinsamt, atomisiert leidenden Männerseelen entdecken. Wo andere Menschen wissen, was sie zu tun haben, suchen diese Männer nach Orientierung und Halt.

Die Einschränkung des öffentlichen Lebens setzt Männern stärker zu als anderen. Wegen des Wegfalls der Bundesliga können Männer wichtige Bedürfnisse nicht mehr ausleben. Uns mag es primitiv erscheinen, aber wegen unseres Erbes aus der Steinzeit, als Männer noch als Jäger und Krieger geschätzte Gesellschaftsmitglieder waren, beruht ihr seelisches Gleichgewicht stark auf solchen Gruppenevents. Die Konsequenz, dass sich Männer nicht mehr jedes Wochenende in bedeutungslose Teamfarben hüllen und sich anschreien, beschimpfen und prügeln können, als würde es um irgendetwas gehen, kriegt jetzt unsere Polizei zu spüren: Im sächsischen Pirna etwa griffen bis zu 30 Männer eine zum Schutz der Bürger eingesetzte Polizeitruppe an. Es ist ein stummer Schrei nach Liebe.

Expert*innen warnen bereits für den Herbst vor dem Wegbrechen einer weiteren seelischen Stütze von Männern. Im Straßenkarneval etwa konnten sich Männer alljährlich Schusswesten mit Aufschriften wie »SWAT« oder »FBI« überstülpen, entgrenzt Alkohol konsumieren und sich so gegenseitig ihrer Männlichkeit versichern. Dieser wichtige jährliche Resilienzfaktor der männlichen Psyche droht in der nächsten »fünften Jahreszeit« jedoch auszufallen. Politiker stehen jedenfalls vor einer schwer zu bewältigenden Aufgabe: die Einschränkung des öffentlichen Lebens zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, bei der es um nichts minder als Leben und Tod geht. Diese Aufgabe darf jedoch nicht unverhältnismäßig stark auf dem Rücken von Männern lasten: ansonsten könnten die Maßnahmen ganz schnell den gegenteiligen Effekt haben.

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