Dialog mit Hürden

Potsdamer Begegnungen halten Austausch über deutsch-russische Perspektiven hoch

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Videokonferenz am Montag wirkte zeitweilig wie ein Abbild des komplizierten deutsch-russischen Verhältnisses. Gegenseitiges, durch Störungen der technischen Verbindung bedingtes Nichtverstehen beeinträchtigte einen flüssigen Ablauf der 23. Potsdamer Begegnungen. Nicht mangelnder guter Wille war Grund der Probleme, und zeitweilig musste man auch als Zuschauer den Impuls bezwingen, die erdrückende Macht des Faktischen zu unterdrücken und den Stecker zu ziehen.

Dabei war die Botschaft aller an der Konferenz beteiligten Wissenschaftler, Politiker sowie Fachleute aus Wirtschaft und Kultur zum Verwechseln ähnlich: So unterschiedlich man auch die Ursachen der gegenwärtigen Probleme im beiderseitigen Verhältnis sah, so einig waren sich alle darin, dass nur Dialog und Zusammenarbeit eine vernünftige Alternative bieten.

Das ist seit Langem die Grundthese Matthias Platzecks, einstiger brandenburgischer Ministerpräsident und einer der Urheber der Potsdamer Begegnungen, die zwar vom früheren Bundespräsidenten Roman Herzog ins Leben gerufen wurden, aber eine regelmäßige Veranstaltung des Deutsch-Russischen Forums sind, dem Matthias Platzeck vorsteht. Platzeck versäumte es eingangs nicht, den russischen Partnern anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung vom Hitlerfaschismus in emotionalen Worten die nötige Anerkennung zu zollen. Allein die Tatsache, dass die Sowjetunion den Deutschen nach den Verbrechen an deren Völkern mit Millionen Toten die Hand zur Versöhnung ausgestreckt habe, sei eine »unheimlich große Geste«, sagte Platzeck. Die heute dazu verpflichte, alle Anstrengungen zu unternehmen, dass »gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit wieder möglich werden«.

Heute, da die Welt sich im Krisenmodus infolge der Coronapandemie befinde, erschienen alte Probleme und Herausforderungen in neuem Licht, findet Platzeck, der damit eine These in den virtuellen Konferenzraum stellte, die anschließend leidenschaftlich diskutiert wurde. Die Potsdamer Begegnungen stellen das eher kulturelle Pendant zum Petersburger Dialog dar, hier debattieren vor allem Wissenschaftler. Doch auch die Wirtschaft war vertreten, und bei dieser sind politisch bedingte Vorbehalte gegen mehr Offenheit kaum zu hören. Unter den virtuell Anwesenden jedenfalls schien eher die Meinung vorzuherrschen, dass nicht Widersprüche und Konflikte sich durch die Coronakrise neu definieren, sondern die Geschwindigkeit, in der sie ausgetragen werden. Einerseits macht die Krise eigene, aber auch die Defizite deutlich, die durch gegenseitige Abschottung und auch Sanktionen entstanden sind. Zugleich sehe sich jede Seite durch die Krise in ihren eigenen Ansichten über die jeweils andere Seite bestätigt und bestärkt. Auch am Montag wurden keine wirklich neuen Fragen debattiert: Was folgt aus den globalen Auseinandersetzungen vor allem zwischen den USA und China? Sollten Deutschland, Europa, Russland hier einen selbstbewussten Gegenpart spielen? Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt es über den Bereich der Energiesicherheit und Rohstofflieferungen hinaus? Gibt es im Gesundheitssektor Felder, auf denen eine stärkere Kooperation ratsam wäre? Die Coronakrise könnte eine Art Katalysator sein bei der Austragung der Konflikte und böte damit auch Grund zu Optimismus, so lautete die überwiegende Meinung. Nicht zuletzt Politiker der Union vertraten diese, immerhin gehört die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung zu den Förderern und Partnern der Potsdamer Begegnungen. In ihren Grußworten hatten auch die Schirmherren der Veranstaltung, die Außenminister beider Länder, Heiko Maas und Sergej Lawrow, den Nutzen eines Dialogs beider Länder gerade in der gegenwärtigen Situation hervorgehoben. Dass hierbei gerade auf staatlicher Seite bisher nicht alle Möglichkeiten wirklich ausgeschöpft werden, zeigte sich symbolisch darin, dass die Minister ihre Botschaften nicht selbst vortrugen, sondern diese vorgelesen wurden.

Immer schmerzhafter bewusst werde den Europäern das Hemmnis alter und neuer Konflikte, hatte Matthias Platzeck eingangs gesagt. Zu ihrer Auflösung beizutragen, sei die Aufgabe der Potsdamer Begegnungen, die nicht um ihrer selbst willen stattfänden, sondern zu gemeinsamem Handeln führen sollen. »Das ist eine Aufgabe, die keinen Aufschub duldet.« Im November soll es die nächste Runde geben, dann hoffentlich wieder in einer Konferenz mit körperlicher Nähe, wie Platzeck hofft.

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