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Warnung an alle Eltern: Aufpassen!

Furchtbares Gekritzel: Im Zeichentrick-Horrortrip »The Midnight Gospel« dreht sich alles um Esoterik, Drogen und den Tod

  • Lennart Levý
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn ein Mensch stirbt, dann fressen ihn die Würmer. Über uns thront kein Himmel, unter uns droht keine Hölle, und die Zeit, die man in seinem kurzen Leben verschwendet, bekommt man nicht mehr zurück. Nie wieder. Umso mehr ärgere ich mich darüber, dass ich meine Zeit ausgerechnet mit der Netflix-Animationsserie »The Midnight Gospel« verschwenden musste.

Diese wird als Nachfolgerin der Zeichentrickserie »Adventure Time - Abenteuerzeit mit Finn und Jake« gehandelt, die vor allem in den USA populär war. Beiden Serien gemein ist ein furchtbarer, kindlicher Zeichenstil, obwohl in »The Midnight Gospel« die Kritzelei auf einem höheren Niveau stattfindet. Hier sind gezeichnete Bilder zu sehen, die man sich nicht einmal an den eigenen Kühlschrank heften würde, um sein untalentiertes Kind vor einer zu frühen Kontaktaufnahme mit dem Schwert der Kritik zu bewahren.

Eingebettet in diesen Zeichentrick-Horrortrip, versucht die Handlung zwanghaft, eine tiefgründige Botschaft zu transportieren, ist aber ungefähr so gehaltvoll wie das, was zwei Kiffer von sich geben, die beim Bongrauchen auf dem Film »Matrix« hängengeblieben sind. Wahrscheinlich hat man einfach das Band laufen lassen und mitgeschrieben und drum herum einige schiache Figürchen erfunden. Ich recherchiere das also nach und muss feststellen, dass ungefähr genau das passiert ist: Die beiden Showrunner, Screenwriter Pendleton Ward und Podcaster Duncan Trussel, haben Gespräche mit »Schriftsteller*innen, Mystiker*innen und Aktvist*innen« geführt und sie zu Drehbüchern verarbeitet. Jesus!

In der ersten Folge muss man sich eine 20-minütige, stark esoterische Abhandlung über das Für und Wider chemischer Drogen für die psychische Gesundheit reinballern. Hauptfigur Clancy trifft den US-Präsidenten einer von Zombies geplagten, simulierten Parallelwelt, und man kommt gemeinsam zu dem Schluss, dass nur wer ohne Unterlass DMT raucht, LSD wie Cola in sich hineinschüttet und über kein anderes Thema mehr spricht, zur Erkenntnis über sein Innerstes und zum Seelenheil gelangen kann. Das dem Geschehen zugrundeliegende Gespräch muss wohl mit einem jungen Pop-Antideutschen im Berliner Szeneclub »about blank« stattgefunden haben. Die Rahmenhandlung bleibt im Laufe der ersten Staffel im Wesentlichen gleich: Der Nerd Clancy ist ein Jugendlicher mit zu viel Zeit und einem verbotenen Supercomputer (inklusive KI), mit dem er in verschiedene Multiversen reisen kann. In jedem dieser Multiversen droht der Erde gerade die Apokalypse, und Clancy nimmt sich die Zeit, einige Bewohner des untergehenden Planeten zu interviewen, statt sich nützlich zu machen und das drohende Unheil zu verhindern. Ob es nun um Magie, Transzendenz, Meditation, Vergebung, den Tod oder Drogen geht, ist egal, Clancy und seine Gesprächspartner*innen nähern sich dem Kern der Sache immer von den unnötigsten, absurdesten und unmaterialistischsten Standpunkten. Man könnte genauso gut eine leere Leinwand anstarren, denn was passiert, ist absolut beliebig und austauschbar. Einen tieferen Sinn sucht man vergeblich.

Nach dem Ansehen der ersten Folge möchte man schreien. Nach der zweiten Folge vergleicht man im Internet die Preise für Seile, weil man sich am liebsten gleich aufhängen möchte.

Der Trend der sich explizit an Erwachsene richtenden Zeichentrickserien findet hier sein verfrühtes und trauriges Ende. Dabei war davon auszugehen, dass es nach der SF-Sitcom-Animationsserie »Rick and Morty« nicht mehr schlimmer kommen kann. Die ist zwar auch unglaublich pseudo-intellektuell, aber die Macher haben sich wenigstens ein bisschen Mühe gegeben.

Eltern seien auf jeden Fall gewarnt, in Zukunft muss aufgepasst werden: Wer seine Kinder unbeaufsichtigt ans Tablet lässt und die Netflix-Kindersicherung für überflüssig hält, darf sich in Zukunft nicht wundern, wenn die pubertären Monster nicht nur anstrengend, sondern - infolge der totalen Reizüberflutung durch solche Serien, die auf den ersten Blick unscheinbar wirken - auch schlechte Menschen werden.

»The Midnight Gospel«, Netflix

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