Psychologie des Wumms

Die Koalition versucht mit scheinbar viel Geld die Konjunktur flottzukriegen

»Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen.« Der Spruch von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zum gerade beschlossenen Konjunkturpaket der Großen Koalition war am Donnerstag rasch in aller Munde. Und das war wohl auch der Sinn: Wirtschaft ist zum Teil Psychologie - kehrt nun dank der GroKo-Konjunkturspitze der Optimismus bei Unternehmen und Verbrauchern zurück, wird eifrig gekauft und investiert - der Aufschwung ist da.

Doch reicht das Paket dafür? 130 Milliarden Euro umfasst es laut den Angaben, 120 Milliarden stemmt der Bund. Da für das ganze Jahr 2020 vor der Krise Gesamtausgaben von 362 Milliarden Euro geplant waren, ist das ein stolzes Sümmchen. Und auch etwa doppelt so viel wie beim Konjunkturpaket in der Wirtschaftskrise 2009. Bedenkt man aber, dass die deutsche Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr fast dreieinhalb Billionen Euro betrug, relativiert sich der Eindruck schon wieder. Das wirtschaftlich vergleichbar große Japan legte im April ein Paket von umgerechnet 919 Milliarden Euro auf.

Dass die Bundesregierung nicht wirklich klotzt, hat wohl damit zu tun, dass der lautstärkste Vertreter des Sparens in Europa sein Defizit in Grenzen halten will. Schulden sind hierzulande bekanntlich unbeliebt. Im Nachtragshaushalt vom März wurde eine Neuverschuldung von 156 Milliarden für dieses Jahr veranschlagt. Laut dem Finanzminister sind 60 Milliarden davon noch frei. Bedenkt man, dass große Teile des Konjunkturpakets erst 2021 greifen, muss man nicht allzu viele Kredite draufsatteln.

Ein Konjunkturimpuls würde dennoch gelingen, wenn das Geld sofort direkt vom Staat durch Investitionen in den Wirtschaftskreislauf gespült wird - oder von den Bürgern durch sofortige Einkommenssteigerung. Beides ist jedoch nur ein Bruchteil des Pakets oder kommt wie die Senkung der EEG-Umlage erst 2021. Die zweistelligen Milliardensummen für Klimatechnologien werden ebenfalls erst irgendwann wirksam werden. Die anderen größeren Posten, Finanzhilfen für Kommunen und kleinere Unternehmen, sind eher weitere Nothilfen, die verhindern sollen, dass Kommunen massiv den Rotstift ansetzen oder eine Pleitewelle kommt.

Ein wirklicher starker Konjunkturimpuls kann von dem Paket der Regierung eigentlich nicht ausgehen. Umso wichtiger ist es dem Finanzminister daher, für einen psychologischen Placebo-Effekt zu sorgen. Doch auch da funkte CSU-Chef Markus Söder mit dem Satz dazwischen: »Ob es ein Wumms ist, weiß ich nicht.«

Kommunen

Einen Rettungsschirm für Kommunen hatten Verbände von der Bundesregierung gefordert, der die zusätzlichen finanziellen Belastungen durch die Corona-Pandemie zum Beispiel für Wohngeld ausgleicht und die Kommunen in die Lage versetzt, Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau zu tätigen.

Mit den beschlossenen Hilfen verhält es sich nun wie mit dem Coronavirus: Je nach Vorerkrankung werden einige Kommunen damit ganz gut durch die Krise kommen, andere dagegen werden mit den Folgen noch lange zu kämpfen haben. Entlastend wirkt, dass der Bund künftig einen größeren Teil der Kosten für Unterkunft in der Grundsicherung übernimmt, nämlich bis zu 75 Prozent, was den Kommunen rund vier Milliarden Euro jährlich einbringt. Darüber hinaus will der Bund die krisenbedingten Ausfälle bei der Gewerbesteuer ausgleichen. Der Haken: nach den bisherigen Plänen nur in diesem Jahr. Zudem bleiben sonstige Zusatzkosten aus dem Infektionsschutzgesetz, Einnahmeausfälle im Jahr 2021 wie auch fehlende Einnahmen aus anderen Steuern an den Kommunen hängen. Dies schwächt Kommunen insgesamt, trifft aber natürlich die ohnehin Finanzschwachen am meisten. Größter Mangel der Einigung im Koalitionsausschuss ist denn auch, was nicht drin steht: die Übernahme der Altschulden von Kommunen. Für diesen Befreiungsschlag hatte sich die SPD eingesetzt, vor allem finanzstarke unionsgeführte Bundesländer waren aber dagegen.

Bei den Gesundheitsämtern soll sich dafür tatsächlich etwas verbessern. So will der Bund eine Personalmindestausstattung definieren und Geld zur Verfügung stellen, um die erforderlichen Stellen für die kommenden fünf Jahre zu finanzieren. Um den Job für Ärzte attraktiver zu machen, soll sich dabei die Bezahlung an den Gehältern in anderen Bereichen des Gesundheitswesen messen lassen, was in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes sicherzustellen sei. Gesundheitsämter sollen zudem technisch nachgerüstet werden. Drei Milliarden Euro sollen auch in die Krankenhäuser fließen, damit diese Notfallkapazitäten und digitale Infrastruktur aufbauen können. Denn irgendeine Infektionswelle kommt gewiss. inw

Kinderbonus

Sozialwissenschaftler warnen längst vor einer weitreichenden Verarmung infolge der Corona-Pandemie. Die Krise mache »mühsam errungene Erfolge zunichte«, befürchtet Luciana D’Abramo, Nothilfekoordinatorin von SOS-Kinderdorf. »Vor allem Kinder und Familien, die bereits vor der Pandemie benachteiligt waren, werden die größten Verlierer sein«, ist sie sich sicher. Ob das Konjunkturpaket der Bundesregierung eine Verarmung auch in Deutschland abwenden kann, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen.

SPD und Union planen für Familien einen Kinderbonus, eine Einmalzahlung in Höhe von 300 Euro je Kind. Dieser Bonus solle die Konjunktur ankurbeln, sagte Familienministerin Franziska Giffey (SPD). »Und ich glaube, dass die Mehrheit der Familien dieses zusätzliche Geld gut gebrauchen kann.« Kritik daran äußerte der Sozialverband VdK. Der Kinderbonus werde »verbrennen wie ein Strohfeuer«, erklärte dessen Präsidentin Verena Bentele. Zielgenauer wäre es, bedürftige Familien zu unterstützen. Allerdings soll der Bonus mit dem Kinderfreibetrag verrechnet, aber nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden. Damit werde er auf Familien mit mittleren und niedrigen Einkommen beschränkt, sagte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans.

Darüber hinaus sieht das Paket vor, Alleinerziehende steuerlich zu begünstigen. Für eine Dauer von zwei Jahren soll der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende von 1908 Euro auf 4000 Euro angehoben werden. Ferner will die Bundesregierung Mittel bereitstellen, um den Kitaausbau und die Ganztagsbetreuung in Schulen voranzubringen. Nachholbedarf sieht die Koalition auch bei den digitalen Strukturen in den Schulen, damit der Präsenzunterricht und das E-Learning zu Hause künftig besser verbunden werden können. sot

Mehrwertsteuerabsenkung

Die beschlossene Absenkung der Mehrwertsteuer ist die größte Überraschung beim Konjunkturprogramm. Keiner hatte sie auf dem Schirm gehabt, öffentlich diskutiert wurde sie eigentlich nicht. Nun soll die Mehrwertsteuer vom 1. Juli an bis Ende des Jahres statt 19 nur 16 Prozent betragen. Der reduzierte Satz soll von sieben auf fünf Prozent sinken. Es ist die erste Senkung dieser Verbrauchssteuer seit 50 Jahren. 1968 lag sie in der Bundesrepublik bei zehn Prozent. Die nun beschlossene Maßnahme wird dem Fiskus laut Berechnungen des Bundesfinanzministeriums rund 20 Milliarden Euro an Mindereinnahmen bescheren.

Das rege den Konsum an und sei sozial gerecht ausgestaltet, weil die Mehrwertsteuer von allen gezahlt werde, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Sinn der Sache. In der Tat ist sie mit einem Aufkommen von 183,1 Milliarden Euro nach der Lohnsteuer die zweitwichtigste Einnahmequelle für den Staat. Sie entspricht knapp einem Viertel der Gesamteinahmen (ohne reine Gemeindesteuern). Weil sie eben jeder automatisch entrichtet, der etwa in einem Laden etwas kauft oder im Restaurant ein Essen bestellt, fällt sie im Gegensatz zur Einkommenssteuer vor allem auch bei niedrigen Einkommen ins Gewicht. Eine Erhöhung trifft auch alle, weil die Unternehmen sie meist sehr schnell an die Verbraucher weitergeben.

Bei einer Mehrwertsteuersenkung ist das anders. Zwar sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) bei der Vorstellung des Konjunkturpakets: »Es geht darum, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher den Vorteil unmittelbar haben.« Das muss auch sein. Doch seine Erwartung, dass die Unternehmen die Senkung nicht »für sich selber nutzen«, ist letztlich ein hilfloser Appell. Letztlich ist entscheidend, wie viel Wettbewerb in den einzelnen Branchen herrscht. Sind Konkurrenz und der Druck auf die Preise groß, dann ist es wahrscheinlicher, dass der Nachlass an die Verbraucher weitergegeben wird.

Zwar besagen Studien, dass die Mehrwertsteuersenkung in Großbritannien während der letzten Finanzkrise diesen erwünschten Effekt hatte, doch sind Experten bezüglich der nun von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahme pessimistischer: »Die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung dürfte nach allen Erfahrungen und theoretischen Überlegungen zu Preissetzung und Schwellenpreisen nur zu einem begrenzten Teil an die Verbraucher weitergegeben werden«, sagt Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Damit dürfte sie auch eher einen geringen Nachfrageeffekt entfalten. Die Steuersenkung verbessere stattdessen die Ertragslage der Unternehmen unabhängig davon, ob die Unternehmen wie der stationäre Einzelhandel von der Krise betroffen sind. spo

Katastrophenschutz und Rüstung

Zu Beginn der Coronakrise beunruhigte vor allem die Ausstattung des medizinischen Bereichs. Beatmungsgeräte waren nur in begrenzter Zahl vorhanden. Schutzkleidung und Schutzmasken mussten international mühsam beschafft werden, und auch bei der Produktion von Desinfektionsmitteln waren die Kapazitäten ausgeschöpft. Im Konjunkturpaket ist nun ein Finanzbedarf von einer Milliarde Euro vorgesehen, um eine nationale Reserve an persönlicher Schutzausrüstung anzulegen, die dezentral bei medizinischen und Einrichtungen des Katastrophenschutzes bereit stehen soll.

Wesentlich größer dürfte der Betrag ausfallen, den der Bund an zusätzlichen Mitteln für die Streitkräfte bereitstellt. Zehn Milliarden Euro sollen in vorgezogene Projekte fließen, die neben der Digitalisierung der Verwaltung und Sicherheitsprojekten auch »neue Rüstungsprojekte mit hohem deutschen Wertschöpfungsanteil« umfassen. Eine Zweckbindung ist bei diesen Rüstungsprojekten bisher ebenso wenig erkennbar wie eine Abgrenzung der Mittel zur dringend notwendigen Digitalisierung der Verwaltung. Weitere 500 Millionen Euro sollen in ein »Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr« fließen, das »die nationale Verfügbarkeit digitaler und technologischer Innovationen für öffentliche und private Bereiche« verbessern soll. Dabei scheint es um Projekte, wie die Corona-App zu gehen, bei der die Bundeswehr frühzeitig und medienwirksam in der Entwicklung unterstützte. dal

Unternehmenshilfen

Einen besonders großen Batzen Geld will die Bundesregierung für die Stützung von kleinen und mittelständischen Unternehmen in die Hand nehmen, die wegen der Coronakrise in Schieflage geraten sind. Ist deren Umsatz im April und Mai im Vergleich zum Vorjahr um über 60 Prozent eingebrochen und hält die Flaute bis August an, so übernimmt der Fiskus bis zu 50 Prozent ihrer fixen Betriebskosten. Beträgt der Einbruch über 70 Prozent, können sogar bis zu 80 Prozent erstattet werden. »Der maximale Erstattungsbetrag beträgt 150 000 Euro für drei Monate«, heißt es im Eckpunktepapier. Gelten solle dies für alle Branchen, wobei den Besonderheiten der besonders betroffenen Branchen wie Hotel- und Gaststättengewerbe »angemessen Rechnung« zu tragen sei.

Dieser Fonds war eine Idee von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Er kommt vor allem bei der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU und CSU an. »Die Einigung von Union und SPD ist ein wichtiges und gutes Signal an Unternehmen und Verbraucher«, frohlockte deren Chef Carsten Linnemann. Ein paar Tage zuvor schoss er noch massiv gegen die vor allem von seinen Parteikollegen ins Spiel gebrachte Neuauflage der Abwrackprämie.

Darüber hinaus goutiert Linnemann diverse Steuererleichterungen für Unternehmen, die im Rahmen des Konjunkturpakts beschlossen waren. Sie betreffen unter anderem Abschreibungs- und Verlustrücktragsregeln und summieren sich auch auf mindestens über 13 Milliarden Euro. spo

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