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Es geschah in einer Sommernacht

1955 wurde Emmett Till nach einem Kaugummikauf gelyncht. Darauf reagierte die US-Bürgerrechtsbewegung

Es war ein kleiner Junge, er kam aus Chicago, wollte fröhliche Ferien bei seinem Onkel in Mississippi verbringen. Seine alleinerziehende Mutter und seiner Großmutter waren strikt dagegen, wussten sie doch, welch noch größere Gefahren Afroamerikanern im zutiefst rassistischen Süden drohten. Doch der Junge freute sich auf das Abenteuer einer Reise aufs Land, weit weg von der lärmenden Großstadt am Michigansee.

Er war lebenslustig, 14 Jahre jung. Und liebte, wie jedes Kind seines Alter, Süßigkeiten. An einen heißen Augusttag 1955 betrat er mit seinen Cousins in der miefigen Kleinstadt Money das Lebensmittelgeschäft von Roy Bryant. Dessen Frau Carolyn stand hinterm Ladentisch. Sie war eine Schönheitskönigin an der High School gewesen und nun Mutter von zwei Kindern. Der Junge aus Chicago kaufte für zwei Cent Kaugummi. Draußen, vor der Ladentür, pfiff er frohgemut vor sich hin.

Vier Tage später, am 28. August, drangen zwei weiße Männer nachts um zwei Uhr, ins Haus von Mose Wright ein, zerrten den Jungen aus dem Bett und trieben ihn unter Schlägen und Tritten zur Tür. Nichts nützten die flehentlichen Bitten von Onkel und Tante, den Knaben frei zu geben; wenn er etwas Unrechtes getan habe, würden sie ihn selbst bestrafen. Sie wurden mit Gewehrkolben niedergeschlagen. Die Männer warfen den Jungen auf ihren Pickup und brausten davon.

Drei Tage später wurde seine Leiche von einem Angler am Ufer des Tallahatchie River aufgefunden. Sie war so entstellt, dass der Onkel ihn nur anhand eines Rings, der dem Vater des Jungen gehört hatte, identifizieren konnte. Dem Jungen fehlte ein Auge, die Nase war gebrochen, der Körper zerschunden, am Kopf ein Einschussloch. Sein Name war Emmett Till.

Seine Mutter war eine mutige Frau. Mamie Elisabeth Till-Mobley bestand darauf, dass der Leichnam ihres Sohnes in einer Kirche in Chicago aufgebahrt wurde. Zehntausende Menschen, schwarze und einige weiße, zogen an ihm vorbei. Das Foto des grausam zu Tode geschundenen Knaben ging um Welt. Der Schriftsteller William Faulkner, selbst aus Mississippi stammend, schrieb: »Wenn wir in unserer desolaten Kultur in Amerika den Punkt erreicht haben, an dem wir Kinder ermorden, gleichgültig aus welchem Grund oder welche Hautfarbe sie haben, dann verdienen wir es nicht, weiterzuleben, und vermutlich werden wir es auch nicht .«

Die Empörung, nicht nur in der afroamerikanischen Bevölkerung der USA, war so groß, dass die Mörder, der Grossier Roy Bryant und dessen Halbbruder John William Milam,vor Gericht gestellt werden mussten. Mit ihnen wurden erstmals in der Geschichte von Mississippi weiße Männer wegen Lynchmords an einen Schwarzen angeklagt. Nur fünf Tage währte der Prozess, die Geschworenenjury befand die Angeklagten für unschuldig.

Vier Monate nach dem Freispruch gestanden die Mörder ihre ruchlose Tat einer Zeitung - für ein Entgelt von 4000 Dollar. Der schwarze Junge habe die Frau des Lebensmittelhändlers angeblich belästigt und sich den beiden Männern gegenüber störrisch, nicht geständig und bar jeglicher Angst gezeigt. Deshalb töteten sie ihn. Jahrzehnte später räumte die betagte Schönheitskönigin ein, die »Belästigung« frei erfunden zu haben.

Der Tod des Emmett Till befeuerte die Bürgerrechtsbewegung im Kampf gegen die rassistischen »Jim-Crow-Gesetze« in den USA. Seine Ermordung ermutigte Rosa Parks, ein Zeichen zu setzen. Am 1. Dezember 1955 weigerte sich die junge Afroamerikanerin in Montgomery, Alabama, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. Ihre Verhaftung bewog den damals noch nicht weithin bekannten Baptistenprediger Martin Luther King, einen Busboykott auszurufen. 1962 widmete Bob Dylan - als erster Songwriter (Romanciers und Filmemacher sollten folgen) - dem in Mississippi ermordeten schwarzen Jungen aus Chicago eine Ballade: »This boy’s dreadful tragedy I can still remember well/ The color of his skin was black and his name was Emmett Till.«

Zwei Jahre später beendete der Civil Rights Act offiziell die staatliche »Segregation«. Obgleich formal Schulen oder Parkbänke nun nicht mehr mit »Whites only« oder »Blacks only« gekennzeichnet waren, blieb der Rassismus in den USA allgegenwärtig. Bis heute, wie der Fall von George Floyd zeigt. Und er wird nicht mit ehrenwerten Gesten verschwinden, wie der am Freitag in Washington von Bürgermeisterin Muriel Bowser verkündeten Benennung einer Kreuzung vorm Weißen Haus in »Black Lives Matter«-Platz.

Vor allem nicht mit einem Präsidenten, der durch und durch Rassist ist und der am Tag der Trauer für George Floyd die Öffentlichkeit mit der schamlosen Behauptung entsetzte: »Hopefully George is looking down right now and saying this is a great thing that’s happening for our country,« Der 46-jährige Afroamerikaner war am 25. Mai nach einem Einkauf in einem Lebensmittelgeschäft in Minneapolis, Minnesota, in einen Polizeieinsatz geraten und brutal erstickt worden.

Er würde, so meinte Trump, aus dem Himmel herabblicken und sich über Trumps Jobpaket freuen. Das weder soziale Kluft und Ungerechtigkeit noch rassistische Vorurteile und Feindbilder aufheben wird. Aber vielleicht wird eine neue machtvolle Civil Rights Movement mit internationalem Echo und Rückhalt endlich Veränderungen bewirken.

Audioreportage von USA-Korrespondent Max Böhnel zu den Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus
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