Ein Richter kündigt Verfassungsbeschwerde an
Streit um Arbeitstempo
Richter Thomas Schulte-Kellinghaus hat einmal mehr verloren. Diesmal vor dem Bundesgerichtshof. Seit rund acht Jahren wehrt er sich gegen eine Ermahnung seiner früheren Vorgesetzten, Fälle rascher zu bearbeiten.
Der 65 Jahre alte Richter am Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in Freiburg sieht seine richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt. Er werde nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, sagte Schulte-Kellinghaus nach dem Urteil des Dienstgerichts des Bundes am 12. Mai 2020.
Schon der Dienstgerichtshof für Richter am OLG Stuttgart hatte keine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit durch die Ermahnung gesehen. Schulte-Kellinghaus hatte demnach über Jahre etwa 30 Prozent weniger Fälle als seine Kollegen abgeschlossen.
Der Bundesgerichtshof (Az. RiZ(R) 3/19) urteilte jetzt, ein Dienstvorgesetzter dürfe einen Richter zu einer ordnungsgemäßen und unverzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte ermahnen. Die richterliche Unabhängigkeit sei erst dann beeinträchtigt, wenn dem Richter ein Pensum abverlangt werde, das sich sachgerecht auch von anderen Richtern in vergleichbarer Position nicht bewältigen lasse, begründete der Senat seine Entscheidung.
Die Verhandlung in Karlsruhe schien von gegenseitigem Unverständnis der Positionen geprägt. Schulte-Kellinghaus sagte anschließend, es sei ihm nicht gelungen, etwas zu erklären, das für ihn auf der Hand liege. Entscheidend sei, dass mit der Aufforderung, Fälle schneller zu erledigen, Druck auf ihn ausgeübt werde, seine Rechtsanwendung zu ändern. Er solle gezwungen werden, die Bindung an das Gesetz in seiner Arbeit zurückzustellen. Das ist nach Schulte-Kellinghaus' Überzeugung verfassungswidrig. Er hält dem BGH auch vor, mit seiner ersten Entscheidung in diesem Fall im Jahr 2017 einen solchen Verfassungsbruch für rechtens erklärt zu haben.
So endet das Plädoyer auch mit der Aufforderung an den Senat, den Weg zur Verfassungsbeschwerde frei zu machen. Seine Befürchtung ist aber, das Verfahren bis zur einer Entscheidung über seine Verfassungsbeschwerde könne so lange dauern, dass er dann schon pensioniert sei.
Der Vertreter des Landes Baden-Württemberg sagte, Schulte-Kellinghaus mache das Problem größer als es sei. Alle Richter wollten sachgerecht und gerecht urteilen. Es sei auch keineswegs ein politischer Prozess.
Schulte-Kellinghaus hatte genau das mit Hinweis auf die Verantwortung der Landesregierung moniert. Denn aus dem Landeshaushalt ergebe sich, wie viel Zeit ein Richter durchschnittlich für die Bearbeitung eines Falles aufwenden dürfe. Ein Richter sei aber nicht dafür verantwortlich, dass im zugewiesene Fälle unbearbeitet bleiben, wenn seine gründliche Rechtsanwendung mehr Zeit benötige. Effizienz habe nichts mit Erledigungszahlen zu tun, ist Schulte-Kellinghaus überzeugt. dpa/nd
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