Kriminalisierung hat nicht geklappt

Richter stellt in Berlin Verfahren gegen Antimilitaristen gegen Auflage ein

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten brandet am Mittwochvormittag Applaus auf. Rund 40 Unterstützer der Initiative »Rheinmetall entwaffnen« begrüßen den Aktivisten Lukas B., der soeben mit seinem Anwalt den Verhandlungssaal verlassen hat. Mit dem Ergebnis des rund einstündigen Prozesses können sie zufrieden sein: Das Verfahren mit den Vorwürfen Widerstand bei der Festnahme, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und Hausfriedensbruch wurde gegen die Zahlung von 300 Euro eingestellt. »Die Kriminalisierungsstrategie gegen uns hat nicht funktioniert«, sagt Lukas ins Mikrofon.

Worum ging es konkret? Ende Mai 2019 fand im Berliner Maritim-Hotel die jährliche Aktionärshauptversammlung des Rüstungskonzerns Rheinmetall statt (»nd« berichtete). Reibungslos lief das Treffen jedoch nicht ab: Hunderte Menschen demonstrierten auf der Straße vor dem Tagungshaus gegen die Beteiligung der Waffenschmiede am Krieg im Jemen und den Einsatz von Leopard-2-Panzern im türkischen Angriffskrieg gegen die Bevölkerung in Nordsyrien. An der Hotelfassade seilten sich Umweltaktivisten ab.

Unter die Aktionäre hatten sich zudem Dutzende Kriegsgegner gemischt. Als der Vorstandsvorsitzende Armin Papperger seine Rede hielt, stürmten sie das Podium. Trotz des Eingreifens privater Sicherheitskräfte und der Polizei konnte die Bühne für eine knappe Stunde von den Aktivisten besetzt werden. Vorstand und Aufsichtsrat mussten ihre Berichte unterbrechen. Beamte brachten die Protestierer einzeln heraus, teilweise kam es zu Gerangel.

Auch Lukas B. wurde an diesem Tag von der Polizei weggetragen. Im Januar erhielt er dafür einen Strafbefehl über 130 Tagessätze, insgesamt 5200 Euro. Er soll Beamte während des Einsatzes getreten haben, so der stärkste Vorwurf, wie er im Bericht der Polizei stand. Der dazugehörige Paragraf 114 des Strafgesetzbuches wurde 2017 vor dem G20-Gipfel in Hamburg erst verschärft, Täter können mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Lukas B. legte jedoch Widerspruch ein. »Der Strafbefehl kam nicht nur wegen meiner Handlungen, sondern weil wir zusammen gegen Rheinmetall protestiert hatten«, sagte er gegenüber »nd«.

Während des Gerichtsverfahrens hörten sich die Schilderungen des Polizeizeugen weniger drastisch als zuvor an. Als der Beamte mit zwei weiteren Kollegen Lukas B. aus dem Saal wegtrug, habe der Beschuldigte mit seinen Beinen »Paddelbewegungen« ausgeführt. Dadurch habe er »leichte Tritte« verursacht, die aber »nicht sonderlich heftig« gewesen seien. Der Verteidiger von B. wies derweil darauf hin, dass die Griffe der Polizisten selbst Schmerzen verursacht hätten. Für Staatsanwältin und Richter war das alles zu wenig für eine Verurteilung. Man einigte sich darauf, dass das Verfahren gegen die Zahlung von 300 Euro an ein noch zu bestimmendes Projekt eingestellt wird. Lukas B. selbst würde das Geld gerne einer Prothesenwerkstatt in Rojava geben. Der Vorschlag wird nun vom Gericht geprüft.

»Die Vorwürfe haben sich als haltlos herausgestellt«, kommentierte B. das Ergebnis des Verfahrens. »Es ist bezeichnend, dass ich heute vor Gericht stehe, während die Manager, die bewusst Waffenexportbeschränkungen umgehen und mit dem Tod von Tausenden Menschen Profite machen, sich hier nicht verantworten müssen«, fügte er gegenüber dem Richter hinzu.

Rheinmetall steht seit Jahren für Menschrechtsverstöße, die Umgehung von Waffenexportverboten und die Zusammenarbeit mit autoritären Staaten in der Kritik. Nach jüngsten Recherchen der Kampagne »Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel« nutzt derzeit die Türkei offenbar eine »Luftbrücke« nach Südafrika, um von dort deutsche Waffen und Munition zu importieren. Das Material soll demnach vom deutsch-südafrikanischen Joint Venture »Rheinmetall Denel Munition« stammen. »Rheinmetall nutzt durch seine internationalen Tochterunternehmen jede Möglichkeit, die sich bietet, um weiterhin die Kriege dieser Welt zu munitionieren«, kritisierte Martin Singe von Pax Christi Bonn.

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